Sabine Brandes

Für die Wahrheit, nicht für Twitter

Der Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh darf nicht für eine politische Agenda missbraucht werden

von Sabine Brandes  19.05.2022 08:54 Uhr

Sabine Brandes Foto: privat

Der Tod der Journalistin Shireen Abu Akleh darf nicht für eine politische Agenda missbraucht werden

von Sabine Brandes  19.05.2022 08:54 Uhr

2151. So viele Journalisten und Mitarbeiter von Medienunternehmen starben in den vergangenen drei Jahrzehnten bei der Ausübung ihrer Arbeit. Das sind mehr als 70 im Jahr. 2022 wurden bereits 32 Reporter und Reporterinnen getötet. Eine von ihnen war Shireen Abu Akleh. Sie wurde in den frühen Morgenstunden des 11. Mai in Dschenin bei einem Schusswechsel zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen Extremisten von einer Kugel in den Kopf getroffen und starb.

Die Zahlen stammen vom »Committee to Protect Journalists«. Hinter Abu Aklehs Name ist die Todesursache aufgeführt. »Gefährliche Aufgabe«, heißt es da. Nicht »Mord« oder gar »Hinrichtung«. So aber bezeichnen es viele Berichte und Posts auf Twitter, Facebook oder Instagram.

lüge Und das ist eine Lüge. Denn selbst wenn nicht feststeht, wer für ihren Tod verantwortlich ist, ist unumstritten, dass es ein Versehen war. Ein tragisches und schreckliches – aber ein Versehen. Keine der beiden Seiten hatte ein Interesse daran, die Journalistin vorsätzlich zu töten. Das aber geschieht regelmäßig in anderen Ländern, vor allem in Russland, Mexiko, Afghanistan, Kongo und derzeit in der Ukraine.

2022 wurden bereits 32 Reporter und Reporterinnen getötet. Eine von ihnen war Shireen Abu Akleh.

Doch das schreibt keiner, der sich über Shireens Tod echauffiert und Israel als »Journalisten-Mörder« bezeichnet. Statt echter Bestürzung und Anteilnahme wird die Tragödie für die politische Agenda ausgeschlachtet. Das Mindeste, was jene zeigen könnten, die sich in den sozialen Netzwerken zu Hütern der Gerechtigkeit aufschwingen, ist ein wenig Demut. Denn hinter dem Laptop die »Wahrheit« zu suchen, birgt keine allzu großen Gefahren.

Diesen aber sind meine Kollegen, die über Kriege und gewalttätige Konflikte berichten, ständig ausgesetzt. Sie wissen, dass das, was Shireen zugestoßen ist, auch ihnen passieren kann. Trotzdem wagen sie sich zu den gefährlichsten Einsätzen, damit Leser und Zuschauer die Wahrheit erfahren. Doch nicht, damit diese von voreingenommenen, dümmlichen Twitter-Usern verdreht in die Welt posaunt wird. Ich weiß nicht, welche Kugel Shireen tötete. Aber sie wissen es ebenso wenig.

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