Kommentar

Free Europe from Hamas!

Makkabi Deutschland-Präsident Alon Meyer Foto: IMAGO/teutopress

Der Historiker Hans Mommsen prägte 1977 den Begriff der »kumulativen Radikalisierung«, um die Eskalation der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu erklären und die Rolle von Tätern, Mitläufern und Zuschauern im Gesamtbild der NS-Verbrechen zu beleuchten.

Heute zeigt sich, wie erschreckend aktuell dieser Begriff wieder ist: In den drei westeuropäischen Städten Paris, Amsterdam und Berlin beobachten wir eine zunehmende Radikalisierung des Judenhasses. Städte, die einst für Freiheit standen, werden zunehmend zu Symbolen für islamistischen und antisemitischen Hass.

Am vergangenen Mittwoch zeigten die »Ultras« von Paris Saint-Germain beim Champions-League-Spiel gegen Atlético Madrid ein Banner, das kein Protest ist, sondern eine gezielte Inszenierung des Hasses gegen Juden und den Staat Israel. Was wir hier sehen mussten, ist keine spontane Aktion, sondern ein bewusst geplantes antisemitisches Statement. Die Botschaft auf dem Banner in Paris war eine Collage der Judenfeindschaft: »Free Palestine«, mit dem »i« als Palästina ohne Israel dargestellt, eine unverhohlene Vernichtungsfantasie, die Israel von der Landkarte tilgen soll.

Die Darstellung eines Kindes in einer libanesischen Flagge greift antisemitische Propaganda auf, die Israel als »Kindermörder« diffamiert, und eine blutverschmierte Palästina-Flagge stellt Palästina als Opfer einer angeblichen israelischen »Blutschuld« dar.

Antisemitismus ist keine einfache Diskriminierung oder ein Vorurteil, sondern ein tödliches Ressentiment, das tief im Erlösungsdenken verwurzelt ist. Die Parole »Krieg auf dem Platz, aber Frieden in der Welt« zeigt, dass für die Ersteller des Banners »Frieden« nur durch die Zerstörung des jüdischen Staates erreicht werden kann. Für Antisemiten kann es erst Frieden geben, wenn Juden und Israel nicht mehr existieren. Dieser »Frieden« ist Ausdruck einer erlösungsgetriebenen Fantasie, die uns schon die Nationalsozialisten vor Augen führten, als sie die Vernichtungslager weiterbetrieben, selbst als sie im Krieg dringend Ressourcen benötigten.

Die »kumulative Radikalisierung« setze sich nahtlos fort: In Amsterdam waren es die Islamisten, die als Täter auf Fans von Maccabi Tel Aviv nach dem Spiel gegen Ajax brutal losgingen. Die schockierenden Aufnahmen zeigen, wie sie auf israelische Fans eintreten, die bereits am Boden liegen – gezielt auf die Köpfe, in brutalster Weise. Maccabi-Fans wurden durch die Stadt gejagt, in eine Gracht geworfen und erst in Ruhe gelassen, nachdem sie »Free Palestine« riefen.

Die Zuschauerrolle übernahm dabei die Polizei, die Berichten zufolge nicht intervenierte und zusah, wie Juden gejagt wurden. Die Sicherheitslage für Jüdinnen und Juden in Europa ist bereits gekippt. Was in Amsterdam geschehen ist, war nicht weniger als ein Pogrom. Europa muss entschlossen handeln und die Ausbreitung eines immer lauteren und gewaltbereiteren Islamismus verhindern.

Besonders bezeichnend und entlarvend ist die Tatsache, dass der jüdische Staat gezwungen war, El-Al-Maschinen nach Amsterdam zu schicken, um Israelis auszufliegen. Dass der jüdische Staat heute eine westliche Stadt wie Amsterdam anfliegen muss, um seine Bürger vor antisemitischer Gewalt zu schützen, ist nicht weniger als eine Kapitulationserklärung des Westens und zeigt, wie wenig Juden sich in Europa noch sicher fühlen können.

Auch in Berlin zeigt sich die erschreckende Eskalation: Die Täter – radikalsierte Jugendliche, die seit Jahren von der herrschenden Politik protegiert werden – gingen mit Messern und Stöcken auf minderjährige Spieler des jüdischen Vereins TuS Makkabi los, nachdem diese während eines Spiels beleidigt und bespuckt wurden. Diese Vorfälle sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten Antisemitismus, der sich in verschiedenen Formen manifestiert. Und das alles müssen wir kurz vor dem 86. Jahrestag des Gedenkens an die Reichspogromnacht erleben – eine bittere Mahnung, dass die Gewalt gegen Juden in Europa keine Gegenwart und keine Zukunft haben darf.

Besonders schmerzhaft ist es, dass diese Vorfälle in Städten geschehen, die bereits islamistische Terroranschläge erlebten und in denen jüdische Viertel tief in der Geschichte verankert sind.

Wer sich an den 13. November 2015 erinnert, weiß, dass das Länderspiel zwischen Deutschland und Frankreich im Stade de France stattfand, während draußen die Schüsse eines Terroranschlags zu hören waren. Genau in dieser Stadt, die Zeuge islamistischen Terrors geworden war, wird nun ein antisemitisches Banner gezeigt – ausgerechnet ein Jahr und einen Monat nach dem Zivilisationsbruch vom 7. Oktober 2023. Bis heute warten Familien vergeblich auf die Rückkehr ihrer Angehörigen. Wo sind die »Bring Them Home«-Plakate?

Die Geschichte hat gezeigt: Antisemitismus lebt vom Dreiklang der Täter, Mitläufer und Zuschauer – und genau in diese Zuschauerrolle begibt sich auch die UEFA. Statt eine restriktive Linie gegen Antisemitismus zu ziehen, zeigt die UEFA eine passive Akzeptanz– eine Haltung, die in Europa im Jahr 2024 unerträglich ist.

Lesen Sie auch

Währenddessen leisten wir bei Makkabi Deutschland mühsame Basisarbeit: Lehrgänge und Begegnungen, die Integration und gegenseitiges Verständnis zwischen jüdischen, muslimischen und christlichen Jugendlichen fördern. Doch genau diese wichtige Integrationsarbeit wird durch antisemitische Vorfälle in Stadien und das Wegsehen großer Verbände mit Füßen getreten.

Wir sind es leid, ständig die Mahner zu sein. Es sollte selbstverständlich sein, dass Antisemitismus bekämpft wird – und nicht relativiert. Wir fordern endlich mehr Maßnahmen, Sensibilität und proaktives Handeln gegen den antisemitischen Hass. Paris, Amsterdam und Berlin sind bereits zu Orten geworden, an denen die jüdische Bevölkerung, aber auch alle Demokraten, sich fürchten müssen.

Der Sport sollte Menschen verbinden, nicht Hass und Gewalt anheizen. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – Werte, die uns einst mit Europa verbanden, dürfen keine leeren Worte bleiben. Der Vorfall in Paris ist kein Einzelfall. Er reiht sich ein in eine Welle des antisemitischen Hasses, die auch vor dem organisierten Sport nicht Halt macht. Es ist kein Zufall, dass bereits ein Tag nach dem antisemitischen Banner der PSG-Fans in Amsterdam ein Pogrom gegen israelische Fans von Maccabi Tel Aviv verübt wird.

Unsere Forderung ist klar: Free Europe from Hamas. Wenn wir zulassen, dass antisemitischer Hass in Europa tobt und unwidersprochen bleibt, senden wir ein Signal an alle Radikalen: dass ihre Gewalt und ihr Hass ungehindert Raum haben – mitten im Herzen unserer Gesellschaft.

Zum Schluss bleibt die ernüchternde Erkenntnis: Der von Hans Mommsen beschriebene Prozess der »kumulativen Radikalisierung« ist bittere Realität geworden – in unseren Städten, Stadien und Straßen, mitten in Europa.

Der Autor ist Präsident von Makkabi Deutschland.

Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Der Westen sollte keinem Mann vertrauen, der bislang als Terrorist gesucht wurde

von Jacques Abramowicz  11.12.2024

Meinung

Papst Franziskus, Jesus und ein gefährliches Manöver

Die Kirche rüttelt an ihrem eigenen fragilen Fundament, wenn dem Juden Jesus seine Herkunft, seine Abstammung und seine Identität abgesprochen werden

von Daniel Neumann  11.12.2024

Meinung

Syrien und die verfrühte Freude des Westens über den Sieg der Islamisten

Ein Gastkommentar von Ingo Way

von Ingo Way  11.12.2024

Meinung

PEN Berlin war kurz davor, auf der Seite der Feinde Israels zu stehen

Nur knapp konnte verhindert werden, dass die Schriftstellervereinigung eine Resolution annahm, die von glühender »Israelkritik« geprägt war

von Stefan Laurin  10.12.2024

Meinung

Der Papst und sein einseitiges Mitgefühl für Judenfeinde

Das Jesus-Kind in ein Palästinensertuch einzuwickeln zeigt, dass der Vatikan seine Tradition verleugnet, um im Nahostkonflikt Partei zu ergreifen

von Maria Ossowski  10.12.2024

Meinung

Amnesty, Israel und die »Untermenschen«

Die Verleumdung Israels durch die Menschenrechtsorganisation ist einmal mehr beispiellos. Ein Kommentar von Wolf J. Reuter

von Wolf J. Reuter  10.12.2024

Kommentar

Vor den Messern der Islamisten sind wir alle gleich

Dastan Jasim warnt vor dem einseitigen Blick deutscher Experten auf Syrien

von Dastan Jasim  09.12.2024

Meinung

Die Siedlerfantasten in der israelischen Regierung

Ein Ex-Verteidigungsminister spricht von »ethnischer Säuberung« in Gaza. Premierminister Benjamin Netanjahu tut zu wenig, um den Vorwurf auszuräumen

von Joshua Schultheis  07.12.2024

Andreas Nachama

Gesine Schwan rechnet die Schoa gegen Israels Politik auf

Die SPD-Politikerin sollte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit würdigen, doch ihre Rede geriet zur Anklage gegen Israel

von Rabbiner Andreas Nachama  07.12.2024