Lorenz Adlung

Forschung: Konstruktiv statt plakativ

In der Wissenschaft ist der Weg das Ziel – Schlagzeilen sollten daher Hand und Fuß haben

von Lorenz Adlung  04.06.2020 09:47 Uhr

Lorenz Adlung Foto: pr

In der Wissenschaft ist der Weg das Ziel – Schlagzeilen sollten daher Hand und Fuß haben

von Lorenz Adlung  04.06.2020 09:47 Uhr

Die Wissenschaft genießt in Israel generell einen hohen Stellenwert. Das Land sieht sich als Start-up- und Hightech-Nation. Man ist sich in Gesellschaft und Politik der Spitzenforschung vor Ort bewusst.

Zwar existiert kein Pendant zum Robert Koch Institut, aber Politiker haben Beraterstäbe, Wissenschaftler veröffentlichen Forschungsarbeiten zu Virus-Charakterisierung, -Testung und -Bekämpfung, die in politische und gesellschaftliche Debatten einfließen. Undenkbar, dass führende Wissenschaftler von der Presse verunglimpft würden.

VERZAHNUNG In Israel existiert eine pragmatische Verzahnung von Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit. Man ist stolz, dass man einen Beitrag leisten kann. So etwa die Institute MIGAL und IIBR, an denen derzeit ein Prototyp für einen Corona-Impfstoff entwickelt wird.

Man vertraut auf die Kraft der Wissenschaft. Konstruktiv statt plakativ ist die Formel. Wissenschaftler arbeiten mit ihren Ergebnissen, einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte gibt es gerade in diesen Zeiten nicht.

Nach Ausbruch der Corona-Pandemie kam eines Nachts der Stab des damaligen israelischen Verteidigungsministers Naftali Bennett ans Weizmann-Institut, um sich davon zu überzeugen, wie dort geforscht wird. In den Laboren der Professoren Ido Amit und Eran Elinav wurde ein automatisiertes Verfahren entwickelt, das es erlaubt hätte, Zehntausende Proben auf das Virus-Erbgut zu untersuchen; in wenigen Stunden, mit minimalem Personalaufwand.

Wissenschaftler arbeiten mit ihren Ergebnissen, einfache Antworten auf komplexe Sachverhalte gibt es gerade in diesen Zeiten nicht.

Der Konjunktiv verdeutlicht, dass es dazu nicht kam. Kommunikationsprobleme zwischen Forschung und Militär führten zum Abbruch jeglicher Zusammenarbeit. Dies erzeugte einen kurzen öffentlichen Aufschrei nach Berichten auf gängigen Nachrichtenportalen samt einer offiziellen Richtigstellung des Instituts.

STICHELEIEN Damit hatte es sich – es wurde weitergeforscht und nicht weitergestichelt. Mittlerweile funktioniert das Verfahren: Erste gesammelte Erkenntnisse wurden bereits im Fachmagazin »Cell« veröffentlicht.

Allen sollte klar sein, dass der wissenschaftliche Weg das Ziel ist. Nur der garantiert, dass dann auch wirklich eine Schlagzeile entsteht, die Hand und Fuß hat.

Der Autor ist Systembiologe und forscht am Weizmann-Institut Rehovot.

Kommentar

Shiri, mein Herz bricht für dich

Sarah Cohen-Fantl will nicht verzeihen, dass Shiri, Kfir und Ariel Bibas nicht gerettet wurden

von Sarah Cohen-Fantl  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Vieles, was der Berliner sagt, ist bedenklich nah dran an Hamas-Propaganda.

von Susanne Stephan  19.02.2025

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

Meinung

Was »Sensibilität« bei der Berlinale bedeutet

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  20.02.2025 Aktualisiert

Einspruch!

Holt sie aus der Hölle raus

Sabine Brandes fordert, alles dafür zu tun, um auch die letzten verbliebenen Geiseln zu retten

von Sabine Brandes  13.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025