Demonstrationen militanter Impfgegner sind längst ins Herz Europas vorgedrungen. Während in Deutschland am vergangenen Freitag rund 30 Verwirrte skandierend vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping demonstrierten und Fackeln hochhielten, kam es in Luxemburg zu Ausschreitungen von 2000 militanten Impfgegnern auf einem Weihnachtsmarkt – für das kleine Luxemburg ist dies eine erschreckend hohe Teilnehmerzahl.
Offenbar war Verstärkung aus dem Ausland mobilisiert worden. Der Mob hielt Plakate hoch, auf denen mehrfach der Davidstern zu sehen war, Puppen des Premierministers Xavier Bettel mit der Aufschrift »responsable« sowie Plakate mit der Aufschrift »Pass nazitaire« (in SS-Runen).
DROHBRIEFE Vor den privaten Wohnhäusern der jüdischen Familienministerin Corinne Cahen und dem Haus des Premiers Xavier Bettel kam es vergangene Woche zu Demonstrationen. Mehrfach erhielten Cahen und Bettel Drohbriefe.
Zufall, dass gerade der offen homosexuelle Premier und eine Jüdin bedroht werden? Wohl kaum. Wer die Proteste der letzten Wochen beobachtet, merkt: Das sind nicht nur semantische Übergriffe. Niemand muss kritiklos einen (vermeintlichen) Konsens über zu treffende Maßnahmen hinnehmen – selbst zu denken, ist durchaus eine Tugend. Einen Weihnachtsmarkt zu stören, das muss eine Demokratie aushalten – einen antisemitischen Aufmarsch nicht.
Einen Weihnachtsmarkt zu stören, das muss eine Demokratie aushalten – einen antisemitischen Aufmarsch nicht.
Die Geschehnisse in Sachsen wie in Luxemburg zeigen: Ausschreitungen und Versammlungen vor privaten Wohnsitzen von Politikern sind kein Einzelphänomen, sondern ein europäisches Problem. Auf den Demonstrationen tummeln sich Rechtsextreme, wirre Kommunisten und Verschwörungstheoretiker aus dem Esoterikspektrum.
HASS Der grassierende Hass unter Impfgegnern mischt sich in Frankreich und Luxemburg mit offenem Antisemitismus. Die Stiftung »Fondation luxembourgeoise pour la Mémoire de la Shoah« (FLMS) spricht von »inakzeptablen Amalgierungen« und »unerträglichen Entgleisungen«.
Sich nicht impfen zu lassen oder gegen die Covid-Maßnahmen zu sein, wäre das eine, so FLMS-Präsident Laurent Moyse. Dies mit der Verfolgung und Ermordung von Millionen Juden im Zweiten Weltkrieg zu vergleichen, ist schlicht inakzeptabel.
Die Terminologie der Impfgegner auf solchen Demonstrationen markiert eine nicht nur semantische Grenzüberschreitung.
Die Terminologie der Impfgegner auf solchen Demonstrationen markiert eine nicht nur semantische Grenzüberschreitung. Denn wie wusste schon Walter Benjamin? Sprache spiegelt soziale Realität.
Eine europäische Realität, in der Impfgegner Regierende in ihrem Privatleben bedrohen und Nazi-Methoden vorwerfen und Nicht-Geimpfte mit im Nationalsozialismus verfolgten Juden gleichgesetzt werden, dürfen wir nicht zulassen.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Luxemburg.