Seit Monaten beschäftigt uns der Vorwurf von sexueller Grenzverletzung und Machtmissbrauch um das Abraham Geiger Kolleg (AGK). Das 1999 gegründete Rabbinerseminar in Potsdam untersucht die gravierenden Vorwürfe, wie auch die vom Zentralrat der Juden in Deutschland beauftragte Kölner Rechtsanwaltskanzlei Gercke Wollschläger.
Sehr still jedoch bleibt der Vorstand der Union progressiver Juden (UpJ), inhaltlich und personell dem AGK nahe, über Walter Homolka, der unter anderem sein Amt als Rektor des AGK und als Vorsitzender der UpJ ruhen lässt. Die UpJ klärt wenig, wo längst intern Fragen kamen. (Nicht) beantwortet werden sie oft mit »Unschuldsvermutung«. Ein strafrechtliches Prinzip. Doch läuft kein Strafverfahren. Nur durch Homolka angestrengte presserechtliche Prozesse. Die Gerichte werden es klären, soll man denken.
bilanz Aber gemach: Anders als Homolka etwa am 25. Juli schrieb, ist seine juristische Bilanz sehr durchwachsen. Die Mühlen der Justiz werden Jahre mahlen – eine Hängepartie, wo Handlung nottut. Geht nicht ohnehin der Verweis auf das Juristische fehl? Gibt es nicht auch andere Normen, Werte?
Doch, mindestens ebenso wichtig: Anstand, Respekt, Religion, Moral, Verantwortung, gute Zusammenarbeit etwa. Erst recht für Rabbiner oder Rektoren. Das ist äußerst relevant, da fast exklusiv Homolka in tragenden Institutionen herrscht, unter weiter Umgehung demokratischer und sonstiger Kontrolle; Christoph Schulte hat es jüngst in der FAZ ebenso präzise wie aufschlussreich aufgezeigt.
Es geht nicht um Recht, sondern um Vertrauen – personell und institutionell.
Wer »Unschuldsvermutung« ruft, versteht das nicht. Und will vielleicht verwischen: Es geht nicht um Recht, sondern um Vertrauen – personell und institutionell. Vertrauen, das nur Transparenz und nicht das alleinige Ruhen von Ämtern schafft. Vertrauen, das Dialog erfordert, nicht Justiz. Vertrauen, das nur entsteht durch Verantwortungsübernahme für offene Fragen und Einleitung konkreter Reformschritte.
Ohne dies gilt: Ich habe kein Vertrauen mehr. Niemand darf einen Zweig des Judentums in die Krise stürzen, weil er mit ungewissem Ausgang allein juristisch agieren will. Die einzig richtige Lösung: Rücktritt und ein echter Neuanfang, der nur mit weitreichenden Umbrüchen gelingen kann.
Der Autor ist Jurist, Vize-Chef des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen und stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Göttingen, die der Union progressiver Juden angehört.