Was verbindet die US-amerikanische Philosophin Judith Butler mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan? Diese Frage könnte der Beginn eines Witzes sein – eines Witzes, der Erdoğan sehr ärgern würde, weil er ausgerechnet mit einer Person gleichgesetzt wird, die die Existenz von nur zwei Geschlechtern ablehnt. Eines haben sie aber gemeinsam: Sie beharren darauf, dass es sich bei dem Angriff der Hamas am 7. Oktober nicht um Terrorismus handelt.
Die Hamas sei eine Befreiungsorganisation, daran halten der Staatsmann und die Gendertheoretikerin fest. Während etliche deutsche Medien Butlers Rede vor einer Woche in Paris – kaum dass sie über soziale Netzwerke in Umlauf gebracht wurde – aufgriffen und kommentierten, bleibt es erstaunlich ruhig nach Erdoğans Ansprache vom vergangenen Samstag.
Der türkische Staatspräsident stellte klar, dass sein Land ohne Wenn und Aber zur Hamas steht.
Anlässlich der Jahresversammlung der Stiftung zur Verbreitung von Wissenschaft sprach er als Ehrengast und nutzte seinen Auftritt, um klarzustellen, dass die Türkei ohne Wenn und Aber zur Hamas steht. Dass das Staatsoberhaupt diese Veranstaltung als Werbeblock für sich und seine islamistische Partei nutzte, die sich »weltweit« für die Palästinenser in Gaza einsetzt, mag mit den bevorstehenden Kommunalwahlen in der Türkei zu tun haben.
Warum Erdoğan eine mehr als zehn Minuten lange Hasstirade gegen Israel hielt und den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler gleichsetzte? Mit Unkenntnis von Geschichte hat das nichts zu tun, sondern mit politischem Kalkül, in das sich Größenwahn und Kränkung mischt. Dass das Oberhaupt eines Nato-Staates folgenlos Lügen verbreitet und ungehemmt Fakten verfälscht, ist ebenso ungeheuerlich und beunruhigend wie Erdoğans Beharren darauf, Hamas-Terroristen seien Mujaheddins.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Frankfurt am Main.