Endlich. Sie sind wieder da, und zwar lebensgroß, nicht digital dezimiert auf dem Bildschirm oder dem Tablet. Zu den Jüdischen Kulturtagen Berlin werden Künstlerinnen und Künstler ihr Publikum anregen, verzaubern, amüsieren, nachdenklich machen, bilden, staunen lassen und unterhalten. 32-mal hielten wir dies für selbstverständlich.
Wir, das meist nichtjüdische Publikum, das die Jüdischen Kulturtage als festen Programmpunkt eingeplant hatte – bis unsere Terminkalender plötzlich über ein Jahr leer waren. Wegen Covid wurden die fertig geplanten Veranstaltungen 2020 kurzfristig abgesagt, während unsere Seelen nach Konzerten, Theater, Kabarett und Lesungen dürsteten.
KONTAKT Viele Künstler gerieten in eine Sinnkrise, oft auch in ein ökonomisches Debakel. Kultur geriet durch die Pandemie vollkommen ins Aus der öffentlichen Wahrnehmung, leider auch der politischen. Tiefpunkt war die Einordnung in Vergnügungsveranstaltungen: Kulturinstitutionen fanden sich auf einer Ebene mit Bordellen wieder.
Mutige Künstler wie der hoch engagierte Andrej Hermlin, der uns jeden Abend digital mit Swing begeisterte, formulierten ihren Ärger öffentlich. Zu Recht. Während alle Fabriken und Produktionsstätten offen blieben, verschwand das kulturelle Leben und fristete im digitalen Raum ein Dasein ohne den direkten Kontakt, ohne Schwingungen zwischen Publikum und Künstlern, ohne Austausch. Es blieb alles so einsam, so steril vor den Bildschirmen.
Wegen Covid wurden die fertig geplanten Veranstaltungen 2020 kurzfristig abgesagt, während unsere Seelen nach Konzerten, Theater, Kabarett und Lesungen dürsteten.
Umso schöner, dass es am 6. November wieder losgeht. Hier eine kleine Auswahl des klugen Programms: der Sänger Vladimir Kornéev singt unter dem Titel »Youkali« Lieder von Kurt Weill, Ilja Richter entführt uns nach Rechavia, das Grunewald des Orients, mit dem hinreißenden Buch dazu von Thomas Sparr, endlich können wir auch Andrej Hermlin wieder live erleben – und die letzten Beethovensonaten mit Daniel Barenboim bilden am 18. November den krönenden Abschluss jener Tage, in denen auch der Novemberpogrome gedacht wird. 1700 Jahre jüdisches Leben werden bedacht, gefeiert und im Gedenken an die Schoa betrauert.
WELTOFFENHEIT Der Schirmherr, Kultursenator Klaus Lederer, zitiert in seinem Grußwort Ortega y Gasset, der darauf hinwies, »dass Juden kosmopolitischer fühlen als irgendein anderes Volk. Berlin hat von diesem Sinn für das Grenzenüberschreitende jahrhundertelang lernen können, wenn auch leider oftmals viel zu wenig«.
Gut, dass wir in diesem Jahr endlich wieder von der jüdischen Kultur, von ihrem Glanz, ihrer Seele und ihrer Weltoffenheit lernen dürfen – und sie live genießen können.
Die Autorin ist Kulturkorrespondentin der ARD und lebt in Berlin.