Wenn ein Titel als Frage formuliert ist, lautet die Antwort bekanntlich: nein. An diese Regel weiß sich auch Emilia Roig zu halten. »Ist Antizionismus antisemitisch?«, hieß der Vortrag, den die Politologin vergangene Woche auf offizielle Einladung der Stabsstelle Diversität an der Freien Universität Berlin hielt. Die erwartbare Auflösung kam nach etwa einer Stunde: »Natürlich ist es kein Antisemitismus.«
Was zwischen Frage und Antwort gesagt wurde, war eine unentwirrbare Mischung aus wissenschaftlichem Referat, persönlichem Bekenntnis und szeneüblicher Selbstvergewisserung. Alles, was in Roigs Vortrag korrekt war, war banal. Aber das, was falsch war, war himmelschreiend falsch.
So lief der entscheidende Kniff ihrer Argumentation auf eine Umkehr der Ausgangsfrage hinaus: Nicht der Antizionismus steht dem Antisemitismus nahe, sondern der Zionismus. Denn es waren stets die Antisemiten, so Roig, die die Juden loswerden wollten. Israel sei mithin nicht nur ein Projekt der »europäischen Kolonialmächte«, sondern irgendwie auch der Nationalsozialisten.
Dass in den 1930er Jahren einigen deutschen Juden gegen viel Geld die Auswanderung nach Palästina erlaubt wurde, begreift Roig nicht als später verworfene Politik der Nazis, sondern als Teil ihres »genozidalen Unternehmens«. Es muss ein echter Aha-Moment für die vielen jungen Menschen im Hörsaal gewesen sein: Ein jüdischer Staat nicht als notwendige und gleichzeitig selbstbestimmte Antwort der Juden auf ihre Verfolgung, sondern selbst eine Erscheinungsform derselben? Je weiter man sich von den historischen Fakten und der Definition von Völkermord wegbewegt, desto plausibler erscheint dieser Gedanke.
Dass die Nazis später einen tatsächlichen Genozid an Juden – egal ob Zionisten oder Antizionisten – begingen, erwähnt Roig folgerichtig an dieser Stelle nicht. Es passt einfach schlecht in ihre Argumentation, dass die meisten Antisemiten ihr Hassobjekt dann doch lieber vernichtet als vertrieben sehen wollen. Auch ihre ultimative Volte wäre dann futsch: Die »bedingungslose Unterstützung« Deutschlands für Israel stehe »im Einklang mit der antisemitischen Ideologie, die Juden aus Europa vertreiben wollte«.
Die offensichtliche und fundamentale Zäsur der Schoa sowohl für das deutsche Verhältnis zu einem jüdischen Staat als auch für die Geschichte des Zionismus erwähnt Roig bestenfalls am Rande. Es hätte für einen Vortrag über das Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus aber zentral sein müssen. So fällt es auch nicht weiter auf, dass die Referentin den Umstand verschweigt, dass sich seit 1945 eine überwältigende Mehrheit der Juden als zionistisch versteht.
Roig stellt nicht nur Nebensächliches ins Zentrum ihrer Argumentation und lässt dafür Essenzielles beiseite – sie macht auch einfach mal aus einem Zionisten das Gegenteil. Als Kronzeugen für ihre These zieht sie nach bewährtem Muster bekannte antizionistische Juden heran. Doch ihr wichtigstes Beispiel ist ausgerechnet: Albert Einstein. Der Physiker war bekennender Zionist, auch wenn er lange eine andere Art jüdischer Selbstbestimmung als einen Staat präferiert hat. Nach der Gründung unterstützte er Israel jedoch.
Roig ist das offenbar unbekannt. Für sie zählt nur, dass Einstein vor 1948 einmal sagte, er halte die Idee eines jüdischen Staates für »schlecht«. Voller Empörung raunt Roig: »Wenn ich das heute sagen würde, würde ich wahrscheinlich aus Deutschland ausgewiesen werden.« Im Publikum wird verhalten gelacht. Selbst Roigs Fans entgeht die offensichtliche Abstrusität ihrer Behauptung nicht. Es war der Höhepunkt eines an unlauteren Verdrehungen, offensichtlichen Falschinformationen und blankem Unsinn reichen Vortrags.
Nun ist die Rede in Deutschland bekanntlich frei und selbst die Narrenfreiheit ist noch eine Form der Freiheit. Zumindest dem ersten Teil ihres Namens wurde die FU an diesem Tag also gerecht. Doch auch dem Kritiker muss erlaubt sein, zu fragen: Ist es eine gute Idee, jemand völlig Ahnungslosen über Zionismus referieren zu lassen? Um gleich auch in Roig’scher Manier zu antworten: Nein.
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