Die Ereignisse in der Ukraine sind erschreckend und beängstigend. Wieder scheint der Krieg seinen Weg nach Europa gefunden zu haben, und mich schaudern die Bilder der Gegebenheiten in meinem Geburtsland. Menschen sind erneut auf der Flucht und bangen um ihr Leben und das ihrer Familien.
Besonders schlimm empfinde ich die Bilder der fliehenden Frauen und Kinder, die zu Fuß Grenzen überschreiten und sich so retten können. Ihre Ehemänner bleiben. Sie reisen nicht aus der Ukraine aus, sie schließen sich der Armee an und kämpfen für die Unabhängigkeit ihres Landes.
zerrissenheit Bei Gesprächen mit Gemeindemitgliedern fällt mir eine gewisse Zerrissenheit unter den Betern auf. Auf der einen Seite treffe ich Gemeindemitglieder, die nunmehr fast täglich gegen den Krieg vor der russischen Botschaft demonstrieren. Auf der anderen Seite sehe ich, wie Gemeindemitglieder demonstrativ aufstehen und die Synagoge verlassen, wenn ich mich bei meinen Predigten gegen den Krieg stelle.
Teilweise höre ich mit großer Sorge, wie sich der Riss der Meinungen innerhalb von Familien vollzieht – nach dem Motto, die einen sind für den Krieg, und die anderen sind dagegen. Leider bleibt uns in dieser Situation nicht viel übrig, als abzuwarten, was weiter passieren wird.
In unserer Natur vereinen sich sowohl das Menschliche als auch das Grausame.
Die, die Familie und Freunde haben, versuchen gerade, diese hierher nach Deutschland zu bringen. Dazu lese ich viele Aufrufe in den sozialen Medien. Viele Menschen halten hilfesuchend und verzweifelt etwa nach Transportmöglichkeiten Ausschau. Einmal mehr zeigt sich, wozu Menschen fähig sind.
In unserer Natur vereinen sich sowohl das Menschliche als auch das Grausame. Mit seinen Händen vermag es der Mensch, Schönes und Sinnvolles zu erschaffen, auf der anderen Seite auch zu zerstören und zu vernichten.
ZUKUNFT Beides sind Dinge, die wir frei entscheiden können. Ich für meinen Teil stelle einmal wieder fest, dass ich mich nur für das Erschaffende, die Schöpfung einsetzen will und werde.
Dazu gehört es auch, Freiheit und Demokratie entschieden zu verteidigen und zu stärken. Das sind und bleiben wir unserer Vergangenheit, unserer Zukunft – und besonders unserer Gegenwart schuldig.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.