An Gedenktagen zelebriert Deutschland gern seine großen Leistungen bei der historischen Aufarbeitung. Verdrängt wird dabei, wie zäh dieser Prozess war und ist. Insgesamt haben wir auf dem Gebiet der Entschädigung für NS-Unrecht gerade einmal 75,5 Milliarden Euro (Stand: 2017) erbracht. Das sind drei Jahre Flüchtlingshilfe oder ungefähr ein Viertel eines (!) Bundeshaushalts.
Für ein singuläres Menschheitsverbrechen ein erstaunlich übersichtlicher Betrag. Diese Summe kommt nicht von ungefähr: Bei jeder Entschädigungsregelung kam es zum Ausschluss ganzer Gruppen, zu Antragstellungen bei falschen Stellen, zu merkwürdigen Antragsfristen und ähnlichen bürokratischen Absurditäten.
SUPPE Das gilt bis heute. Aktuell gilt es bei Menschen aus Polen, die Rentenansprüche aus Ghetto-Arbeit haben. Dort wurden Beiträge an die Rentenversicherungsträger abgeführt, auch wenn der Lohn nur aus einem Teller Suppe bestand. Rente wollte man ihnen lange Zeit nicht zahlen. Erst viel zu spät wurde dies durch höchstrichterliche Rechtsprechung und den Gesetzgeber korrigiert.
Weil das Arbeitsschutzrecht
keine Kinderarbeit kennt,
werden Anträge abgelehnt.
Doch jetzt versteigt man sich zu einer neuen Perfidie: Wenn Juden oder Sinti und Roma in den Ghettos Kinderarbeit leisteten, so heißt es nun, bestünden keine Ansprüche, und Ersatzzeiten für Kinder könnten nicht berücksichtigt werden – schließlich kennt das deutsche Arbeitsschutzrecht keine Kinderarbeit!
Man muss sich der historischen Wahrheit der Ausbeutung und Tortur jener Tage stellen. Ob Kind oder Erwachsener: Wer gearbeitet hat, hat Ansprüche erworben. Und wer versteckt gelebt hat, sollte dafür Ersatzzeiten angerechnet bekommen. Das Ziel muss sein, dass jeder, der durch Arbeit ausgebeutet wurde, dafür auch einen Rentenanspruch erhält. Gegebenenfalls auch seine Erben. Alles andere ist Zynismus.
Der Autor ist Lehrbeauftragter der Ruhr-Universität Bochum.