Julian Feldmann

Eine ganz normale Täterin

Julian Feldmann Foto: pr

Das Landgericht Itzehoe in Schleswig-Holstein hat die einstige Sekretärin des Kommandanten des Konzentrationslagers Stutthof zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Es ist richtig, dass Beteiligte am nationalsozialistischen Vernichtungssystem auch im hohen Alter noch vor Gericht gestellt werden.

Mit ihrer Arbeit als Schreibkraft hat die Angeklagte das Morden im KZ unterstützt. In mindestens 10.505 Fällen hat sie den Mördern geholfen, urteilten die Richter. Und tatsächlich: Als Stenotypistin des Kommandanten war sie im »inner circle« der KZ-Leitung.

justiz Die Justiz der Bundesrepublik Deutschland erkennt mit diesem Urteil im Jahr 2022 an, dass das, was in Stutthof geschehen ist, ein Massenmord war. Und dass alle, die daran beteiligt waren, sich schuldig gemacht haben. Wie die Aufseher war auch die Sekretärin Teil des Mordapparats. Sie war kein willenloses »Rädchen im Getriebe«, sie hat freiwillig am Ort des Massenmords gearbeitet.

Gerechtigkeit bringt ein solcher Urteilsspruch nicht. Die juristische Auseinandersetzung kommt Jahrzehnte zu spät. Dennoch sind die letzten Strafverfahren um Nazi-Verbrechen wichtig.

Die Angeklagte konnte oder wollte nicht verstehen, weswegen sie denn nun dafür nach so langer Zeit zur Verantwortung gezogen werden sollte. Denn ihr Chef, der Kommandant des Lagers, war 1957 seinerseits nur wegen Beihilfe zum Mord verurteilt worden. Wenn schon der Kommandant nur Gehilfe ist, welche Schuld trifft dann die Sekretärin? Das jetzige Urteil hat mit diesem Irrtum aufgeräumt.

strafe Gerechtigkeit bringt ein solcher Urteilsspruch nicht. Die juristische Auseinandersetzung kommt Jahrzehnte zu spät. Die allermeisten NS-Verbrecher sind nie belangt worden. Und auch die Strafe für die 97-jährige Angeklagte ist nur symbolisch. Zwei Jahre auf Bewährung, nicht einmal die Verfahrenskosten muss die Rentnerin zahlen.

Dennoch sind die letzten Strafverfahren um Nazi-Verbrechen wichtig. Der Stutthof-Prozess etwa führt der Öffentlichkeit vor Augen, wer die Täterinnen und Täter damals waren. Auf der Anklagebank saß kein Monster, sondern eine nette Oma aus der Nachbarschaft. Ganz normale Deutsche mordeten damals mit oder unterstützten die Verbrechen.

Der Autor ist Investigativ-Journalist und arbeitet für den Norddeutschen Rundfunk.

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