Der Eurovision Song Contest (ESC) ist unpolitisch? Von wegen! Obwohl die Regeln der Europäischen Rundfunkunion (EBU) jegliche politische Performance strikt untersagen, ist der ESC als länderübergreifendes Großereignis natürlich eine hochpolitische Veranstaltung – bei 41 Teilnehmerländern bleibt das nicht aus. Erst recht nicht, wenn der Austragungsort Tel Aviv heißt. Und dennoch: Alle Delegationen waren ausnahmslos angereist – trotz Raketenangriffen aus Gaza zwei Wochen zuvor, andauernden Protesten Ultraorthodoxer wegen Störung der Schabbatruhe und wiederholter BDS-Boykottaufrufe.
BUHRUFE So löste auch die erwartbare kurze israelkritische Einlage der selbsterklärten antikapitalistischen Punkband aus Island mit dem Schwenken palästinensischer Schals bei der Punktevergabe am Schluss zwar Buhrufe aus, sonst wurden die drei Liveshows jedoch weitgehend nach Drehbuch abgespult. Die Botschaft: Eurovision in Israel ist ganz normal. Israel ist ein Land wie jedes andere auch.
Es brauchte keine Inszenierung:
Tel Aviv ist einfach Tel Aviv.
Fast zumindest. Denn ganz so reibungslos ging der ESC dann doch nicht über die Bühne. Nun haben die Veranstalter zwar alles richtig gemacht: Die Stadt hieß die Gäste und Fans aus ganz Europa willkommen und zeigte sich von ihrer besten Seite – entspannt, weltoffen, gastfreundlich. Dazu bedurfte es keiner Inszenierung – Tel Aviv ist einfach Tel Aviv.
ÜBERFRACHTET Gerade für die LGBT-Community als bekennende ESC-Fans gilt die Stadt am Mittelmeer seit Jahrzehnten als liberaler Hotspot. Aber in dem Bestreben, alles, aber auch alles punktgenau perfekt zu machen, wirkte die Show, die Israel als ganz normales Land innerhalb der europäischen Familie präsentieren wollte, mitunter zunehmend überfrachtet. Als ob die Macher, der erst 2017 gegründete öffentlich-rechtliche Sender Kan, in vier Stunden ein »Best of Israel« unter die 200 Millionen Zuschauer bringen wollten.
Dass dieses Korsett eine gewisse Verkrampfung mit sich brachte – alles steht schließlich unter Beobachtung –, zog nicht nur die Show unnötig in die Länge, sondern stand auch den Moderatoren nicht gut zu Gesicht. Weniger wäre mehr gewesen. Aber auch darin zeigt sich: Normalität braucht Zeit. Und lässt sich nicht übers Knie brechen.