Resolution gegen Antisemitismus

Ein Lob dem Bundestag

Die Abgeordneten votierten mit großer Mehrheit für die umstrittene Resolution Foto: IMAGO/Political-Moments

Der Bundestag hat der Versuchung widerstanden. Er hat nicht um des lieben Friedens willen eingelenkt. Er hat den Kritikern nicht nachgegeben. Damit sind jene gemeint, die die gemeinsame Resolution von SPD, CDU/CSU, Bündnis90/Die Grünen und FDP »Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« mit aller Macht verhindern wollten.

Es war gut, dass die vier Fraktionen nach zähem Ringen (ein Jahr lang dauerten die Verhandlungen, mehrfach standen sie vor dem Scheitern) sich am Ende doch noch auf ein gemeinsamen Standpunkt verständigen konnten. Alles andere wäre ein Armutszeugnis für die deutsche Politik gewesen - eine Politik, die den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland und Israels Sicherheit zur »Staatsräson« erhoben hat, also als maßgeblich für staatliches Handeln ansieht.

Einige berechtigte Kritikpunkte (auch das ist völlig normal) wurden im Resolutionstext berücksichtigt, was den Kompromiss zwischen den vier Fraktionen schlussendlich ermöglichte. Gleichzeitig wurden dem Papier nicht die Zähne gezogen, was durchaus zu befürchten war angesichts der massiven Kritik, die auf die vier Verhandler einprasselte.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Der Bundestag hat nun mit großer Mehrheit zugestimmt. Er hat auf der Anwendung der IHRA-Arbeitsdefinition zum Antisemitismus als maßgeblicher Grundlage für staatliche Stellen bei der Bewertung von judenfeindlichen Vorfällen beharrt. Richtig so, denn die IHRA-Definition ist von Dutzenden Staaten in Europa und der Welt seit Jahren schon in Anwendung. Es gibt keinen Grund, von ihr abzuweichen.

Der Bundestag pocht auch darauf, dass Antisemitismus im Kunst- und Kulturbereich besser bekämpft werden muss. Warum das so ist, hat die documenta fifteen hinlänglich gezeigt.

Lesen Sie auch

Der Bundestag verlangt zu Recht, dass keine Steuergelder dafür verwendet werden dürfen, Projekte mit antisemitischer Intention zu fördern, und er verlangt, dass die staatliche Förderpraxis überprüft werden muss. Denn andernfalls wäre ein solches Postulat nicht mehr als ein Lippenbekenntnis.

Angesichts der breiten Zustimmung der Abgeordneten zu dem Antrag – nur das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) votierte geschlossen mit Nein, die Linke enthielt sich – war der Vorwurf der BSW-Abgeordneten Sevim Dagdelen, die rechtlich nicht bindende Entschließung des demokratisch gewählten Parlaments stelle einen »Angriff auf Grundrechte und auf das Völkerrecht« dar, nachgerade lächerlich. Bei Dagdelens Rede konnten die Zuhörer fast der Eindruck gewinnen, das Recht auf Israelkritik habe hierzulande Verfassungsrang.

Es geht nicht ohne Leitplanken

Andersherum wird ein Schuh daraus: Erst wenn auch Jüdinnen und Juden ihre Grundrechte wahrnehmen und zum Beispiel ohne Angst vor Übergriffen und Anfeindungen an deutschen Hochschulen studieren, lehren und forschen können, werden die Grundrechte wirksam gewährleistet und geschützt.

Die gemeinsame Entschließung der Bundestagsfraktionen stellt klare Leitplanken auf. Die sind leider nötig. Befürchtungen, dass Wissenschaft, Kultur und Medien künftig in wie auch immer gearteter Form an die Kandare genommen würden, sind abwegig. Die Eigenverantwortung im Kunst- und Kulturbereich zu stärken, bleibt natürlich richtig. Aber ohne klare staatliche Vorgaben – das haben die letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder aufs Neue bewiesen – geht es leider nicht. 

Wer vorgibt, jüdisches Leben zu schützen, gleichzeitig aber staatliche Repression, eine Überprüfung der öffentlichen Förderpraxis und selbst die IHRA-Antisemitismusdefinition in Bausch und Bogen verdammt, weil man damit der Gruppe der sogenannten Israel-Kritiker zu nahe treten würde, der meint es in Wahrheit nicht ernst mit dem Schutz jüdischen Lebens. Appelle an die Vernunft allein reichen nicht.

Die Resolution des Bundestages stigmatisiert auch nicht Muslime oder Zuwanderer im allgemeinen. Nein, sie benennt die Probleme, die es mit Israel- und Judenhass im migrantischen Milieu nun einmal gibt, und kehrt sie nicht aus lauter politischer Korrektheit unter den Teppich. Zu Recht wies der SPD-Abgeordnete Helge Lindh in der Aussprache im Plenum darauf hin, dass in Deutschland aus parteipolitischer Opportunität heraus nur der Antisemitismus der anderen thematisiert werde, anstatt auch mal »vor der eigenen Haustüre zu kehren«.

Die Kritik an der Resolution dürfte in den nächsten Monaten nicht abflauen, im Gegenteil: Die Kritiker des Antrags fahren immer schärfere Geschütze auf. Sogar Amnesty International hat sich wiederholt zu Wort gemeldet – nicht etwa auf der Seite der von Antisemitismus betroffenen Juden, nein, sondern als Anwältin jener, die kaum noch Grenzen kennen, wenn es um die Diffamierung des Staates Israel und indirekt auch jüdischer Menschen geht.

Ein Gespenst geht um in Deutschland ...

Die Aufregung um die Entschließung hat fast schon hysterische Züge angenommen. Man könnte es mit Karl Marx sagen: Ein Gespenst geht um in Deutschland, das Gespenst einer »staatlich gelenkten Antisemitismusbekämpfung«, wie es der Chefkorrespondent des Deutschlandfunks, Stephan Detjen, an die Wand malte. Bei näherem Hinsehen ist es eher ein Hirngespinst. Oder ein Pappkamerad?

Der Untergang des Abendlandes steht nicht bevor. Die Demokratie und der Rechtsstaat bieten auch weiterhin guten Schutz vor übergriffigem Handeln des Staates. Die Grundrechte bleiben gewährt. Was die Kritiker der Resolution aber partout nicht wahrhaben wollen: Nach wie vor sind die Anstrengungen gegen Antisemitismus nicht ausreichend. Nach wie vor grassiert der Judenhass in Deutschland. Er nimmt sogar immer weiter zu.

Dass die Politik jetzt verspricht, zu handeln und diesen Trend zu stoppen, und dass der Bundestag diesen Entschluss heute klar und deutlich manifestiert hat, verdient großes Lob. Jetzt gilt es, dieses Versprechen durch genauso entschlossene Taten auch einzulösen.

Der Autor ist Brüssel-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen.

Meinung

Gefährliche Allianz von Feminismus und Antisemitismus

In Lausanne galt auf der Kundgebung zum Weltfrauentag: Jüdinnen sind nicht willkommen. Das ist weder emanzipatorisch noch feministisch

von Nicole Dreyfus  13.03.2025

Daniel Neumann

Darmstadt: Diesmal ließ die Kirche Taten folgen

Nach dem antisemitischen Eklat in der Michaelsgemeinde greift die Evangelische Landeskirche entschlossen durch. Das verdient Anerkennung

von Daniel Neumann  12.03.2025

Meinung

Die stärksten Menschen der Welt

Die ehemaligen Geiseln Eli Sharabi und Yarden Bibas sind durch die Hölle gegangen. Kaum sind sie frei, setzen sie sich unermüdlich für die Rückkehr ihrer »Brüder und Schwestern« ein

von Sabine Brandes  12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

Meinung

Die Gewalt in Syrien war absehbar

Islamisten tun, was sie immer getan haben: massakrieren, verstümmeln, unterdrücken

von Ninve Ermagan  11.03.2025

Meinung

Warum wir über Antisemitismus unter Syrern sprechen müssen

Immer wieder fallen syrische Geflüchtete mit judenfeindlicher Gewalt auf. Um solche Taten zu verhindern, braucht es eine rationale Analyse

von Joshua Schultheis  11.03.2025

FDP

Duell der Silberrücken

Die möglichen Bewerber um eine Parteiführung der Liberalen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Wolfgang Kubicki, beziehen sehr unterschiedlich Position zu Israel

von Ralf Balke  06.03.2025

Kommentar

Harte Haltung gegen die Hamas

Dass US-Präsident Donald Trump sich mit freigelassenen Geiseln traf, ist mehr, als große Teile der israelischen Regierung tun

von Sabine Brandes  06.03.2025

Sophie Albers Ben Chamo

Wo sind deine Frauen, o Israel?

Die Zahl der Ministerinnen und weiblichen Knessetmitglieder ist auf einem Tiefstand. Der Internationale Frauentag wäre für Israel ein guter Zeitpunkt, nach seinen starken Frauen zu suchen

von Sophie Albers Ben Chamo  06.03.2025