Ende Oktober kamen die BRICS-Staaten im russischen Kasan zusammen. Vertreten waren die Vereinigten Arabischen Emirate, Südafrika, China, Russland, Indien, Ägypten, Iran und Brasilien. Iran ist seit diesem Jahr Mitglied. Während der Mullah-Staat also mit am Tisch saß, um über die multipolare Weltordnung zu diskutieren, hätte ich fast den prominentesten Gast vergessen: UN-Generalsekretär António Guterres.
Selbstverständlich mahnte Guterres auf dem Gipfel zum Frieden und verwies auf den Ukraine-Krieg. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war das jedoch gleichgültig. Stattdessen lenkte er die Aufmerksamkeit auf den Gazastreifen, bezeichnete die Lage dort als »humanitäre Katastrophe« und forderte die Schaffung eines palästinensischen Staates – während seine Truppen weiterhin versuchen, die Ukraine zu erobern.
Normalerweise verstehen wir es, totalitäre Weltansichten wie die von Putin einzuordnen. Aus westlicher Perspektive wirkt seine Forderung nach einem palästinensischen Staat in Anbetracht des Ukraine-Kriegs und der Teilbesetzung des Landes heuchlerisch. Doch diese verdrehte Logik bestimmt nicht nur den BRICS-Gipfel – genauso funktionieren auch die Vereinten Nationen.
Am 13. Oktober erklärte der israelische Außenminister Israel Katz António Guterres zur Persona non grata und verweigerte ihm die Einreise nach Israel. Wer das Verhältnis zwischen Israel und den Vereinten Nationen zurückhaltend beschreiben möchte, könnte es als »angespannt« bezeichnen. Klarer formuliert lässt sich sagen: Israel hält nicht viel von der UN.
In Zentraleuropa hingegen setzen wir auf die Institution der UN. Sie soll als Hüterin der Menschenrechte und als Forum dienen, in dem alle Staaten eine Stimme haben – eine Struktur, die wir für sinnvoll erachten. Doch Israel sieht das inzwischen anders und dafür gibt es nachvollziehbare Gründe.
Die UN ist ein Gremium, das von einer Mehrheit geprägt wird, deren Werte oft weit entfernt von demokratischen Prinzipien sind. Sie setzt sich ganz überwiegend aus Diktaturen und anderen autoritären Staatsformen zusammen. Als Demokrat ist man in der UN eher ein Exot.
Die Vorstellung einer gemeinsamen Wertebasis in der UN bleibt in vielen Bereichen, besonders bei Menschenrechten, meist Theorie. Ebenso steht es mit dem zentralen Ziel der UN: dem Streben nach Frieden.
Lobbyismus spielt eine große Rolle, und das zeigt sich besonders deutlich in der intensiven und unverhältnismäßigen Kritik an Israel. Kein anderes Land ist häufiger vom UN-Menschenrechtsrat verurteilt worden oder wurde so oft Ziel von Resolutionen wie Israel – häufiger als Syrien oder Nordkorea.
Angesichts der weltpolitischen Lage und der Rolle anderer Länder, die Resolutionen gegen Israel unterstützen, ist Israels Skepsis verständlich. Die Wahl Saudi-Arabiens im März 2024 zur Leitung der UN-Kommission zur Rechtsstellung der Frau zeigt, wie widersprüchlich die UN-Strukturen oft sind.
Der UN mangelt es im Nahen Osten – einer Region, die von Terror und Machtkämpfen gezeichnet ist – seit Jahren an Erfolg in der Friedensförderung. Die Friedenstruppen im Südlibanon, die seit 1978 vor Ort sind, erfüllen ihren Auftrag nur begrenzt und gelten inzwischen eher als dekorative Präsenz. Ihre zentrale Aufgabe, Israel vor Angriffen der islamistischen Terrormiliz Hisbollah zu schützen, bleibt bis heute unerfüllt.
Während diese Mission stagniert, wird das antiisraelische Narrativ von der UN-Bühne aus in die Welt getragen und häufig gefeiert. Viele glauben weiterhin an die moralische Integrität der UN, die jedoch oft nicht mit unseren Vorstellungen übereinstimmt.
Ist es also verwunderlich, dass Israel sich zunehmend von der UN distanziert? Wenn ein Land sich ständig vor der UN rechtfertigen muss, während andere Mitgliedstaaten, die Menschenrechte regelmäßig verletzen, kaum zur Rechenschaft gezogen werden? In Europa hält man nach wie vor an der Relevanz der UN fest.
Dieser Wunsch ist verständlich und historisch betrachtet gut begründet. Doch heute lässt sich nicht übersehen, dass die UN stark politisiert ist und oft genauso wenig Gerechtigkeitssinn zeigt wie viele ihrer Mitgliedsstaaten. Durch die Schaffung eines gemeinsamen Feindbildes, nämlich Israel, lenken viele Staaten erfolgreich von eigenen Problemen ab.
Die UN ist heute weder eine unparteiische Stimme noch ein Garant für Gerechtigkeit. Die antiisraelische Agenda eint viele Mitgliedsstaaten und ist mittlerweile ein starkes Bindeglied – nicht das Streben nach einer besseren Welt für alle.
Die Autorin ist Journalistin und lebt in Zürich.