Meinung

Die Vereinten Nationen und das zynische Spiel mit den Totenzahlen in Gaza

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen Foto: IMAGO/Pacific Press Agency

Vergangene Woche veröffentlichte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) einen Bericht mit dem Titel »Sechsmonatiger Bericht zur Menschenrechtslage in Gaza: 1. November 2023 bis 30. April 2024«.

Er war gut auf der Website versteckt, sodass ihn vermutlich nur wenige Journalisten gelesen haben. Sie dürften sich eher auf die Pressemitteilung des OHCHR verlassen haben. Das hat dazu geführt, dass man nicht Schlagzeilen wie die nachfolgenden lesen konnte wie »OHCHR entlarvt Hamas-Lüge über Todesopfer« oder »Viel weniger Zivilisten in Gaza getötet als bislang geglaubt«, sondern folgende: »Über 70 Prozent der Toten in Gaza sind Frauen und Kinder«. So titelte zumindest seriöse deutsche Medien wie »Deutschlandfunk« und »Tagesschau.de«.

Als Quelle für diese Zahl wird unter anderem ein Artikel in der renommierten Fachzeitschrift »The Lancet« vom Juli 2024 angegeben (Seite 6 im UN-Bericht). Der ging von 186.000 Toten im Gazastreifen aus. Mittlerweile wurde diese Behauptung von verschiedenen seriösen Quellen als grundfalsch widerlegt. Zudem wurde auch deutlich, dass es sich mehr um ein Meinungsstück handelte als um eine wissenschaftlich seriöse Untersuchung.

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Zur Methodologie des Berichts des Büros des UN-Hochkommissars heißt es, dass »ein großer Teil der vom OHCHR nachgewiesenen Todesopfer in Wohngebäuden oder Ähnlichem getötet wurde, wird teilweise auch durch die Überprüfungsmethode des OHCHR erklärt, die mindestens drei unabhängige Quellen erfordert und durch das Sammeln und Verifizieren von Tötungen unter anderen Umständen in Frage gestellt ist.«

Das ist insofern verwunderlich, weil das Büro des Hohen Kommissars gar nicht im Gazastreifen präsent ist. Dies geben die Verfasser in der Einführung unter Punkt 1 auch zu (Seite 3). Dass die Vereinten Nationen nicht als neutrale Beobachter handeln, zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Bericht. Auf Seite 4, wo von einer 57-Jahre anhaltenden Besatzung und einseitiger Blockade des Gazastreifen durch Israel die Rede ist, wird Ägypten, das mit Gaza ebenfalls eine Grenze hat und die Blockade unterstützt, mit keiner Silbe erwähnt.

Aufschlussreiche Erkenntnisse

Der OHCHR-Bericht unterstellt Israel das Auslöschen ganzer Familien in Gaza (Seite 11) und behauptet, Israel habe nie bewiesen, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde nutze (Beweise gibt es etliche, die Hamas gibt dies sogar unumwunden zu) oder dass sich Hamas-Terroristen in Krankenhäusern versteckten (Seite 12).

Auch von einem angeblich wahllosen Beschuss Gazas durch die IDF (Seiten 25 und 26) ist da die Rede. Israel wird unterstellt, mindestens sechs Mal weißen Phosphor eingesetzt zu haben (Seite 16), und auch, die Bevölkerung in Gaza vorsätzlich habe hungern lassen (Seiten 36 & 37). Viele dieser Aussagen sind längst widerlegt.

Dennoch sind einige Erkenntnisse in dem Bericht aufschlussreich. So werden auf Seite 5 die Zahlen des Hamas-Gesundheitsministeriums genannt. Demnach kam es im Berichtszeitraum, zwischen dem 7. Oktober 2023 und dem 30. April 2024, zu 34.535 Todesopfern. Wie passt diese Zahl mit der von 8119 Toten zusammen, die laut OHCHR bis zum 2. September 2024, also bereits fünf Monate nach dem Ende des Berichtszeitraums, verifiziert wurden?

Von diesen Toten seien 2036 Frauen und 3588 Kinder, so der Bericht – daher die Zahl 70 Prozent. Auch interessant: Mehr als 90 Prozent der verifizierten Opfer, genauer gesagt 7607, kamen in Wohngebäuden oder ähnlichen Unterkünften ums Leben, mutmaßlich bei israelischen Luftangriffen.

Hat die Hamas also bei den Todeszahlen maßlos übertrieben? Oder handelt es sich bei der Differenz zwischen den Zahlen ihres Gesundheitsministeriums und den verifizierten Opfern des OHCHR-Berichts im Wesentlichen um Hamas-Kämpfer?

Zweifel an der Richtigkeit der Zahlen sind erlaubt, ja, sie sind geboten. Aber einmal angenommen, sie stimmten: Würde man auf dieser Basis tatsächlich das Verhältnis von toten Frauen und Kindern zur Gesamtzahl der Opfer berechnen, dann wären in Wahrheit weitaus weniger Zivilisten getötet worden, als tausendfach behauptet, um Israel an den Pranger zu stellen, zu diffamieren und zu dämonisieren.

Mindestmaß an Fairness

UN-Hochkommissar Volker Türk beschuldigt Israel in der Pressemitteilung seines Hauses der »mutwilligen Missachtung« der Prinzipien des humanitären Völkerrechts, was »zu extremen menschlichen Leid geführt« habe. Der Österreicher weiter: »Es ist unvorstellbar, dass die Konfliktparteien sich weigern, allgemein anerkannte und verbindliche Normen anzuwenden, die entwickelt wurden, um das absolute Minimum an Menschlichkeit zu bewahren.«

Dass die Vereinten Nationen um die Menschen in Gaza besorgt sind, ist ehrenwert, und man kann es nicht oft genug sagen: Jeder tote Zivilist ist einer zu viel; es ist notwendig, dass der Krieg in Gaza schnell vorbei ist (dass die Hamas-Terroristen also endlich die Geiseln freilassen und sich ergeben).

Dass die UN nicht einmal zu einem Mindestmaß an Fairness und Objektivität willens und in der Lage sind, ist erschreckend. Wer es sich so leicht macht mit Anschuldigungen wie das Büro des UN-Menschenrechtskommissars, der agiert als Propaganda-Sprachrohr der Hamas. Ob gewollt oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

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