Jetzt wissen wir es. Wir müssen nicht mehr rätseln, wie es ihnen geht. Wir können die verständliche wie auch illusorische Hoffnung ad acta legen, dass zumindest einige der Geiseln doch in mehr oder weniger menschlichen Verhältnissen in Gaza gefangen gehalten werden.
Die verschleppten Menschen, die noch immer dort sind, werden unter gänzlich inhumanen Bedingungen unter der Erde eingesperrt. Sie sind verletzt und krank, werden psychisch terrorisiert, ausgehungert und auf die grausamsten Weisen gefoltert.
All das ist durch Aussagen von freigelassenen Geiseln detailliert beschrieben worden. Und die Folgen der Folter sind in den Propagandavideos der Hamas sogar ersichtlich. Wie im Fall des jungen Soldaten Matan Angrest. Der mittlerweile 21-Jährige muss seit mehr als eineinhalb Jahren Höllenqualen in Gaza erleiden. Weil er als Soldat gekidnappt wurde, wird er noch viel schlimmer behandelt als alle anderen.
»Gebt sie endlich frei«, schreien die Angehörigen wieder und wieder in Richtung Hamas. Auf dem Platz der Geiseln, direkt an der Grenze, in der Knesset in Jerusalem und auf der ganzen weiten Welt stehen sie, die Bilder ihrer Liebsten in den Händen und flehen. Dass die sadistische Todeskult-Terrorgruppe sich erweichen lässt, darauf hoffen sie schon lange nicht mehr. Doch sie betteln um ein Abkommen mit ihr, damit dieser Alptraum endlich ein Ende hat. Denn sie wissen, dass ihre Liebsten noch gerettet werden können.
Manche Menschen hören sie an, die meisten ignorieren sie. So ist es nicht nur in anderen Ländern, so ist es auch hier in Israel. Viele Mitglieder der Regierungskoalition gehen nicht nur einfach weiter, wenn Familien der Geiseln in der Knesset um Aufmerksamkeit bitten, sie sprechen sich sogar offen gegen einen Deal für die Befreiung der Menschen aus.
Yuval Haran, der Schwager der ehemaligen Geisel Tal Shoham, sagte mir vor einer Weile, dass man »Tals Namen in die Welt schreien muss. Und die Namen aller anderen Geiseln auch. Wieder und wieder, an allen möglichen Orten der Welt, damit sie nicht in Vergessenheit geraten.« Das dürfe auf keinen Fall geschehen. Denn davon, machte er mit ernstem Blick klar, würde sich Israel nie wieder erholen.
Für Yuval gab es zumindest teilweise ein Happy End. Es war unglaublich bewegend, ihn nach der Freilassung seines Schwagers Tal im Fernsehen sehen zu dürfen. Die Erleichterung nach der langen Zeit des Fürchtens, Bangens und Hoffens stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er breit lachte und Freudentränen über seine Wangen liefen.
Vor wenigen Monaten noch gab es sehr viel Unklarheit, wie es den verbleibenden Geiseln in Gaza geht. Doch dann kamen Eli Sharabi, Yarden Bibas, Eliya Cohen, Omer Wenkert und andere aus der Gewalt der Hamas frei. Sie begannen uns zu erzählen, wie es dort wirklich ist. Sie sprechen, um die anderen zu retten. Und wir müssen ihnen zuhören und ihre Geschichten weitertragen.
24 Geiseln sind derzeit höchstwahrscheinlich noch am Leben, geben die israelischen Sicherheitsbehörden an. Alles junge Männer, die den Großteil ihres Lebens noch vor sich haben. »Wenn sie nicht bald freigelassen werden, sterben sie dort«, sagte Tal Shoham in einem Interview am Wochenende. Noch aber atmen sie, leiden unvorstellbare Qualen und warten jede Sekunde darauf, dass sie befreit werden. Das wissen wir jetzt.
Also schreie ich ihre Namen in die Welt: Matan Angrest, Elkana Bohbot, Edan Alexander, Avinatan Or, Yosef-Haim Ohana, Alon Ohel, Evyatar David, Guy Gilboa-Dalal, Binbin Yoshi, Rom Braslavski, Ziv Berman, Gali Berman, Omri Miran, Eitan Mor, Segev Kalfon, Nimrod Cohen, Pinta Nattapong, Maxim Herkin, Eitan Horn, Matan Zangauker, Bar Kupershtein, Ariel Cunio, David Cunio und Tamir Nimrodi.
Nicht nur Namen – Menschen!
Die Autorin ist Israel-Korrespondentin der Jüdischen Allgemeinen.