Bekanntlich legen manche Menschen die Latte so hoch, dass sie bequem darunter durchgehen können. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist auch in der Außenpolitik groß. Die an die Entscheider herangetragenen Erwartungen sind riesig, gerade bei den Menschenrechten. Der Instrumentenkasten ist dagegen überschaubar: Da gibt es einerseits die Sanktionsmaßnahmen, zum anderen Resolutionen und Erklärungen.
Gremien, die sonst nicht viel zu entscheiden haben, produzieren Papiere. Auch bei den Vereinten Nationen ist das so. Dort nutzen autoritäre Regime, die bei der UN in der Mehrheit sind, den Menschenrechtsrat, um Israel anzuprangern.
koalitionsvertrag Eigentlich wollte Deutschland das Spiel schon länger nicht mehr mitspielen. So steht im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien 2021 der Satz: »Wir machen uns stark gegen Versuche antisemitisch motivierter Verurteilungen Israels, auch in den Vereinten Nationen.«
Berlin stimmt weiterhin israelkritischen Anträgen zu oder enthält sich der Stimme.
In der Praxis hat sich aber nichts verändert. Berlin stimmt weiterhin israelkritischen Anträgen zu oder enthält sich der Stimme. Als vergangene Woche im Menschenrechtsrat die Aussprache zum Bericht der mit notorischen Israelfeinden besetzten Untersuchungskommission (CoI) zu Nahost anstand, gaben 27 Staaten unter Führung der USA ein klar formuliertes Statement ab, das Mandat und Agieren der Kommission ablehnte.
Absprung Deutschland war jedoch nicht auf der Liste der Unterzeichner zu finden. Man war kurzfristig abgesprungen – aus Protest gegen Israels Siedlungsbau im Westjordanland. Außerdem sei der diesjährige CoI-Bericht ja viel »ausgewogener« ausgefallen als im Vorjahr, hieß es im Auswärtigen Amt. Tatsächlich? Hatte die CoI-Vorsitzende Navi Pillay im Rat nicht erneut die Hauptschuld für die meisten Probleme in Nahost an Israels Türe abgeladen?
Die Latte lag diesmal wirklich nicht hoch. Deutschland hat sie dennoch gerissen. Das ausgewogene Statement der 27 zu unterschreiben, wäre eine Selbstverständlichkeit gewesen. Aber nicht einmal dazu war die Bundesregierung bereit – offenbar frei nach dem Motto: Was kümmert mich mein Koalitionsvertrag von gestern?
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