Meinung

Der Rubikon ist längst überschritten

Protestierer bei der Besetzung eines Gebäudes der Cambdrige University am Wochenende Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire

Der 7. Oktober war eine Zäsur oder, wie Markus Söder bei der Ratstagung des Zentralrats der Juden in München am Wochenende gesagt hat: Der Rubikon wurde überschritten. Wie zu Zeiten Cäsars, der einst den Fluss im Norden Italiens überquerte und römisches Territorium betrat, um mit seiner Armee gegen die Institutionen der Republik zu marschieren, gibt es ein vor und ein nach dem 7. Oktober.

Hatten vorher viele Menschen die Aufrufe der Hamas und Hisbollah zum Mord an Juden als bloße Rhetorik abgetan, konnten sie jetzt erahnen, wie ernst alles gemeint waren. Aus Warnungen waren Wahrheiten geworden.

Eine kurze Zeit lang gab es im Westen vergleichsweise große Solidarität mit Israel. Doch damit war es schnell vorbei. Schon vor dem israelischen Gegenangriff in Gaza taten sich wieder die üblichen Verdächtigen (ein paar Rechtsextreme, viele Linke, radikale Studenten und die sogenannte »pro-palästinensische« Bubble des migrantischen Milieus) zusammen, um lautstark gegen Israel zu protestieren. Der Ruf nach einer globalen Intifada wurde laut.

Bei den Protesten nicht nur laut, es kamen auch Aufrufe zur Gewalt, antisemitische und andere Hetzparolen, Sachbeschädigung sowie Gewalt gegen Polizisten sowie gegen Andersdenkende hinzu. Etwas überspitzt gesagt: Die Intifada war im Westen angekommen. Am Ende standen die Bilder aus Amsterdam: eine pogromähnliche Stimmung. Es steht zu erwarten, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange ist.

Auch nach Amsterdam war das Entsetzen bei vielen nur von kurzer Dauer, vor allem auf der politischen Linken. Angeführt von Bürgermeisterin Femke Halsema von der Partei »GroenLinks« wurden die Gewaltexzesse gegen Juden schnell wieder heruntergespielt. Oder wurden eingeordnet, wie man verharmlosend sagen würde. Es wurde suggeriert, die Maccabi Tel Aviv-Fans hätten die Übergriffe durch ihre Slogans provoziert.

Was plötzlich nicht mehr Thema war, war das Versagen der Ordnungskräfte. Übrigens: Bürgermeisterin Halsema hat kein Problem damit, dass einzelne Polizisten in ihrer Stadt sich weigern, jüdische Einrichtungen zu schützen, und dass die Polizei Warnungen vor dem Fußballspiel ignorierte.

Lesen Sie auch

Antisemiten wissen, dass selbst Gewalttaten kaum negative Konsequenzen für sie selbst haben und das am Ende häufig den Opfern (egal, ob das Juden sind oder nicht) eine gewisse Mitschuld gegeben wird. Das Zeigen einer Israelflagge oder eines Schilds mit dem Satz »Rape is not resistance« gilt mancherorts schon als »Grund«, jemanden niederzubrüllen oder auf ihn einzuschlagen.

Am letzten Wochenende kam es zu brutalen Unruhen im kanadischen Montreal. Ganz offen zeigten Menschen den Hitlergruß und riefen nach einer »Endlösung« für Juden.

Auch an der Columbia University in New York ist gerade wieder was los. Und das, obwohl man sich dort eigentlich geschworen hatte, auch und gerade jüdischen Studierenden eine sichere Atmosphäre zu gewährleisten. Wie sich das grundsätzlich für jede Universität und jede Schule gehören sollte.

Doch die Versprechen der meisten Politiker und Uni-Rektoren sind nicht viel wert. Eher schützt man die Protestierenden, mit einem Verweis auf deren Recht auf Meinungsfreiheit. Das ist naiv, denn früher oder später wird sich der Zorn dieser Menschen nicht nur gegen Juden oder gegen Israel richten, sondern gegen andere Teile unserer Gesellschaft.

Viele Juden fühlen sich in westlichen Ländern zusehends unwohl. Die Mehrheitsgesellschaft versteht häufig nicht, warum das so ist. Sie versteht auch nicht, warum viele Juden Israel trotz des anhaltenden Beschusses aus Gaza, aus dem Libanon und aus dem Iran immer noch als einzigen sicheren Zufluchtsort für sich betrachten.

Es wäre längst an der Zeit, dass westliche Regierungen klar rote Linien einziehen. Denn wenn es erst einmal Tote gibt oder Schwerverletzte wie zuletzt in Amsterdam, ist es zu spät. Dann wäre der Rubikon definitiv wieder überschritten. Die Republik, unsere liberalen und offenen Gesellschaften, unsere Freiheiten, sie wären tatsächlich in Gefahr.

Will man es wieder darauf ankommen lassen?

Gastkommentar

Antisemitismus: Lücken im Strafrecht schließen!

Im Kampf gegen Judenhass darf es nicht bei rechtlich unverbindlichen Appellen bleiben

von Volker Beck  23.12.2024

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  20.12.2024

Meinung

Der PEN Berlin und die Feinde Israels

In der Schriftstellervereinigung konnte eine Resolution BDS-naher Autoren gerade noch abgewendet werden. Alles gut also? Nicht wirklich

von Lorenz S. Beckhardt  20.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024

Tobias Kühn

Glühwein und Judenhass

Nach einem »Antikolonialen Friedensweihnachtsmarkt« in den Räumen einer Darmstädter Kirchengemeinde sollten die Bischöfe Klartext reden

von Tobias Kühn  18.12.2024

Sebastian Engelbrecht

Gaza und die Opferzahlen der Hamas

Die palästinensische Terrororganisation instrumentalisiert die Anzahl der Getöteten, um die politische Stimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen

von Sebastian Engelbrecht  17.12.2024

Daniel-Dylan Böhmer

Im Zweifel für die Sicherheit

Israels Angriffe auf Syrien waren trotz fehlender völkerrechtlicher Legitimation richtig, denn die Giftgasbestände im Land bedeuteten eine konkrete Gefahr für den jüdischen Staat

von Daniel-Dylan Böhmer  17.12.2024

Kommentar

Die UNRWA ist Teil des Problems - und nicht seine Lösung

Die UNRWA ist Geschichte. So wollte es eine breite Mehrheit in der Knesset. Dieser Schritt war überfällig, berechtigt - und dennoch falsch. Zumindest jetzt

von Georg M. Hafner  16.12.2024 Aktualisiert

Meinung

Wenn Social Media zur Gefahr für die Demokratie wird

Politik und Plattformbetreiber müssen konsequent gegen Desinformation und Hetze vorgehen

von Anna Staroselski  12.12.2024