Meinung

Der Kostümjude

In Journalistenkreisen war nicht die Frage, wann Fabian Wolffs Kostümjudentum auffliegen würde, sondern nur, wer es zuerst publik macht. Denn im September 2021 wurde einigen Journalisten in Berlin eine ausführliche Recherche zugespielt, die aufzeigte, inwiefern Wolffs jüdische Biografie von vorne bis hinten ausgedacht war.

Die akribische Zusammenfassung einer ihm nahestehenden Person ließ nicht mehr viele Fragen offen. Sie war die perfekte Vorlage für einen weitergehenden Faktencheck.

Ab dem Zeitpunkt wusste es jeder, der es wissen wollte. Fabian Wolff, der angeblich jüdische Publizist, ist gar nicht jüdisch. Sein Judentum, das er gern mit jiddischen Begriffen und Ausrufen wie »Chutzpah!«, »Oj, Gewalt« oder »Was für ein Schlamassel« (Ja, es fehlte im Grunde nur noch das berühmte »Ich liebe Klezmer!«) unterstreichen wollte: komplett ausgedacht!

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zweifel Mehrere Berliner Juden hatten schon zuvor große Zweifel an Wolffs angeblicher jüdischer Biografie angemeldet. Zu viel wirkte konstruiert, nicht plausibel; auf Nachfragen reagierte er dünnhäutig und ausweichend.

Auch dieser Zeitung lag das erwähnte Dossier vor. Nach langen Überlegungen entschieden wir uns damals dagegen, der Sache auf den Grund zu gehen. Ausschlaggebend waren für uns moralische Erwägungen: Kurz zuvor hatte der »Spiegel« in einer großen Recherche herausgefunden, dass die Star-Bloggerin Marie Sophie Hingst wie Fabian Wolff ihre jüdische Familiengeschichte frei erfunden hatte. Wenige Wochen nach Erscheinen des »Spiegel«-Textes nahm Hingst sich das Leben.

Nach Wolffs jahrelangen Märchen sollte man spätestens jetzt besonders genau hinschauen.

Dem großen Outing durch eines der Medien, für die Fabian Wolff so gerne schrieb, ist er jetzt selbst zuvorgekommen. In einem unerträglich langen – und ja, man muss es so klar sagen: auch unerträglich larmoyanten, Ich-bezogenen und zwischen Selbstverliebtheit und Opfergestus changierenden – Text in »Zeit Online« bekennt Wolff nun, kein Jude zu sein. Er selbst sei von seiner Mutter getäuscht worden.

BEZEICHNEND Eine plausible Begründung? Nach Wolffs jahrelangen Märchen sollte man spätestens jetzt besonders genau hinschauen. Nur ein Beispiel von vielen: In dem nun veröffentlichten »Sorry-Leute-ich-bin-doch-nicht-jüdisch-ich-wurde-getäuscht«-Text bei »Zeit Online« schreibt Wolff, er habe während seiner Abiturzeit von seiner jüdischen Großmutter erfahren. In Twitter-Postings wie etwa am 21. Dezember 2021 indes bemerkt er: »Ich kenne dieses Argument natürlich, bin mit diesem ›bad for the Jews/nicht vor den goyim‹ auch aufgewachsen.«

Es ist bezeichnend: Selbst in einem Text, der eigentlich maximale Transparenz und Ehrlichkeit bieten sollte, verheddert Wolff sich weiter in Lügen.

Publizist Fabian WolffFoto: Marco Limberg

Der Autor Tom Uhlig bringt es auf den Punkt: »Fabian Wolff ist da nicht reingerutscht, es ist ihm nicht einfach mal so passiert. Sowas passiert nicht einfach mal so. Er hat diesen Sprechort gewählt, genau wie zahlreiche Aufschneider und Scharlatane vor ihm. Diese Täuschung – ob Selbsttäuschung oder nicht – war interessiert, nämlich nicht, wie Wolff behauptet, um die ›Deutschen zu nerven’, sondern sie kam dem sehr deutschen Bedürfnis nach Antisemitismusverharmlosung nach. Die ernsthafte Kritik der Deutschen Zustände schließt auch die gojnormativen, nicht-migrantischen Kritiker*innen selbst mit ein. Kritik muss auch Selbstkritik sein. Wolff ließ sich aber feiern, als vermeintlich Außenstehender, der in Wahrheit tief drin steckt.«

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nazi-täter Was also gibt es einem deutschen Intellektuellen, zu imaginieren, er sei Jude? Es ist kein unbekanntes Phänomen. Zwischen 1933 und 1945 wollte verständlicherweise kein Fabian Wolff Jude sein. Nach der Schoa allerdings – im Archiv der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist es eindrücklich dokumentiert – entdeckten plötzlich nicht nur Nazi-Täter ihre angeblichen jüdischen Vorfahren, sondern auch ganz gewöhnliche Deutsche.

Natürlich ist es angenehmer, sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, wie das eigene Volk den Völkermord an sechs Millionen Juden ermöglicht hat. Stattdessen wird lieber auf die Seite der Opfer gewechselt. Statt »Wir Deutsche« heißt es fortan praktischerweise »Die Deutschen«.

Was also gibt es einem deutschen Intellektuellen, zu imaginieren, er sei Jude?

Doch auch weit nach dem Holocaust findet sich das Phänomen des Kostümjudentums immer wieder. Im Jahr 2018 etwa musste der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Pinneberg zurücktreten. Nach Recherchen des »Spiegel« sei der damalige Gemeindechef weder gebürtiger noch konvertierter Jude. Demnach kam er am 16. August 1947 als Sohn evangelischer Eltern in Frankfurt am Main zur Welt und wurde drei Tage später getauft. Auch seine Großeltern seien evangelisch gewesen.

In einem eindrucksvollen Interview mit dem Deutschlandfunk berichtete vor einiger Zeit der Berliner Psychiater Professor Hans Stoffels, warum Betrüger aller Art sich eine jüdische Identität erlügen. Mit mehr als 50 Betroffenen hatte Stoffels in Therapie-Settings zu tun. Sein Fazit: Viele Patienten hatten in ihrer Kindheit schwere Defizite erlitten.

identität Die Hochstapler fliehen »mithilfe ihrer Fantasie in eine neue Identität, die sie eben anhebt in ihrem Selbstwertgefühl«, so der Psychiater. »Ich sage häufig, dass die Rollen, die heute jemand erfindet, dass das ein Spiegelbild ist dessen, was in unserer Gesellschaft Anerkennung und Wertschätzung erfährt.«

Nachdem jemand jahrelang gelogen, getrickst und fingiert hat, wäre eine Entschuldigung bei der jüdischen Gemeinschaft doch angemessen.

Fabian Wolff war jahrelang Autor der Jüdischen Allgemeinen, bis es zum öffentlichen Bruch seinerseits mit unserer Redaktion kam. Diesen Bruch verkündete er auf seinen Social-Media-Kanälen ebenso lautstark und wortgewaltig. Er »als Jude« fände es unerträglich, dass die Redaktion neben dem Antisemitismus von rechts, links und aus der Mitte der Gesellschaft auch vor dem Judenhass unter der muslimischen Community warnte. Der Applaus eines bestimmten politischen Spektrums war ihm fortan gewiss.

In seinen Texten nahm Wolff eine dezidiert jüdische Sprecherposition ein. In seinem gefeierten »Zeit Online«-Essay vor zwei Jahren etwa schrieb er: »Ich bin Jude in Deutschland. Um Maxim Biller, den harten Hund, zu zitieren: Jemand wie ich ist in diesem Land nicht vorgesehen, immer noch oder schon wieder, je nachdem.«

Besonders perfide: Juden, die andere politische Positionen als er vertreten, brandmarkte er als rechts, rassistisch und blind pro-israelisch. So feinfühlig, empathisch und sanft er sich in vielen Zeitungstexten gab, so herrisch, ultra-aggressiv und apodiktisch kanzelte Wolff, der als Lehrer in Berlin arbeitet, andere, nein besser: andere, die wirklich jüdisch sind, ab.

bekenntnistext Bezeichnend: In seinem jetzt erschienenen »Zeit Online«-Bekenntnistext sucht man vergeblich eine Entschuldigung an die jüdische Gemeinschaft. An keiner Stelle auch nur ein Wort des Bedauerns, dass ausgerechnet er uns erklären wollte, Fast-Pogrome wie in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen müssten nun einmal im Kontext des Nahostkonflikts betrachtet werden.

Schon der Fall Max Czollek war ein äußerst unangenehmes Beispiel für kulturelle Aneignung. Bei Fabian Wolff ist es noch extremer.

An keiner Stelle auch nur ein Wort des Bedauerns, dass er »als Jude« uns erklären wollte, wir müssten die antisemitische BDS-Bewegung als verständlichen Protest gegen den jüdischen Staat betrachten, der »ethnische Säuberungen« betreibe.

Nachdem jemand jahrelang gelogen, getrickst und fingiert hat, wäre eine Entschuldigung doch angemessen. Und keine Überschrift mit Philip-Roth-Anspielung, die da lautet: »Mein Leben als Sohn«. Und keinen letzten Satz als Schluss des Essays, der die jüdische Gedenkformel »Soll ihre Erinnerung ein Segen sein« missbraucht.

»KARTOFFEL« Schon der Fall Max Czollek war ein äußerst unangenehmes Beispiel für kulturelle Aneignung, was nur dank der Entschlossenheit des Schriftstellers Maxim Biller und des Zentralrats der Juden öffentlich wurde. Immerhin hatte Czollek noch einen jüdischen Großvater.

Bei Fabian Wolff ist es noch extremer. Er ist ein Hochstapler und Lügner, der sich jahrelang – »Zeit Online«-Essay hin oder her – wider besseres Wissen als Jude ausgegeben hat. Und obendrein jeden Nichtjuden, der nicht seine extrem anti-israelische Position teilte, zum Beispiel als »Kartoffel« abwertete.

Und nun?

stichwortgeber Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ein deutscher Publizist vorgibt, jüdisch zu sein. Fabian Wolff war vielen Redakteuren im linken politischen Milieu jahrelang ein dankbarer Stichwortgeber für ihre allzu oft einseitige Israel-Berichterstattung. Er war der gebrauchte Jude. Der perfekte jüdische Kronzeuge.

Viel Aufmerksamkeit, viel Reichweite, viel Wertschätzung waren ihm, dem vermeintlich jüdischen Journalisten, der mutig gegen seine eigene scheinbar reaktionäre Community ankämpft, gewiss. Er wurde gefeiert – und er ließ sich nur allzu gern feiern.

Jetzt das große Ende mit Schrecken. Der Schaden ist immens. Und er wird noch lange nachwirken.

engel@juedische-allgemeine.de

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