Es war das perfekte Szenario, um neue Bilder zu produzieren. Die verschwörungsideologische und in Teilen rechtsradikale Szene mobilisierte erneut, um nach den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen im August in Berlin jetzt gegen das neue Infektionsschutzgesetz zu demonstrieren. Dass die teils aggressiven Teilnehmenden bewusst eine Eskalation gesucht hatten, konnte bereits Tage vorher in einschlägigen Telegram-Gruppen ausgemacht werden. Von Gewaltandrohungen gegen Abgeordnete und Mitarbeiter des Bundestags bis zu Übernahmefantasien war alles zu lesen.
Als Vorstandsmitglied der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD), beobachte ich seit Monaten Demonstrationen von Corona-Skeptikern. Bereits am Mittwochmorgen spürte ich die zunehmende Anspannung im großräumig abgesperrten Regierungsviertel. Nach und nach versammelte sich die Verschwörungsideologen rund um das Brandenburger Tor. Zu Beginn waren es vor allem Netzaktivisten, die das Treiben von Querdenkern, Esoterikern, Impfgegner und Familien mit ihren Kindern dokumentierten.
ANTISEMITISMUS Dass rechtsradikales Gedankengut zu einem festen Bestandteil der Demonstrationen geworden ist, lässt sich vor allem am dort virulenten Reichsbürger-Jargon festmachen. Das Anzweifeln der Souveränität Deutschlands, der Wunsch nach einem »Friedensvertrag«, der Glaube an eine weiterstattfindende Besatzung Deutschlands und Elemente des strukturellen Antisemitismus zogen sich wie ein Roter Faden vom Brandenburger Tor bis zum Reichstag.
Im Laufe des Vormittags kamen immer mehr bekannte Neonazis, Reichsbürger und AfD-Politiker (darunter Mitglieder der JAfD). Die mangelnde Distanzierung beziehungsweise die Akzeptanz dieser Kreise bei »Querdenken« hat die »Hygiene-Demos« zu einer Wohlfühloase für antidemokratische – besonders rechtsradikale Kräfte gemacht.
WASSERWERFER Die Polizei scheint aus einigen Fehlern gelernt zu haben. Zwar gelang es zwischenzeitlich rechten YouTubern, mit gefälschten Presseausweisen in den Sicherheitsbereich zu gelangen und diesen Bereich für gezielte Desinformationen nutzen. Während die Polizei im August noch von dem antidemokratischen Mob überrannt wurde, fuhr sie heute relativ zeitig zwei Wasserwerfer auf.
Die sollten im Laufe des Tages mehrere Male eingesetzt werden, was Stück für Stück die Demonstrationsteilnehmenden zurückdrängte. Es war der erste Wasserwerfer Einsatz der Berliner Polizei seit sieben Jahren. Die wütenden Demo-Teilnehmenden reagierten unter anderem mit Flaschenwürfen und dem Zünden von Pyrotechnik.
Am Ende kam es zu zehn verletzten Beamten und über 360 Festnahmen – und die Demo ähnelte eher einer Wasserschlacht anstelle des von rechts beschworenen »Kampfs für das Vaterland«. Eines ist jedoch klar: Bei diesen Demonstrationen geht es schon lange nicht mehr um die Hygienemaßnahmen. Es geht um den Sturz unseres demokratischen Systems.