Es ist eine von Deutschlands liebsten Diskussionen: Welche Juden dürfen wo, wie über was öffentlich reden? Gerade hat sie wieder Hochkonjunktur.
Nach dem 7. Oktober will die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft mehr denn je von den Juden im Land wissen: Habt ihr Angst? Erlebt ihr Antisemitismus und wenn ja, von wem geht er aus? Wie viel Palästina-Solidarität ist in Ordnung? Und sollte man die israelische Regierung jetzt umso mehr oder lieber weniger kritisieren?
Was für manche eine Überraschung sein mag: Je nachdem, welcher Jude antwortet, kriegt man Unterschiedliches zu hören. Wen also fragen? Einige deutsche Redaktionen haben sich in den vergangenen Wochen für Deborah Feldman entschieden. Die Aussteigerin der ultraorthodoxen Satmarer-Sekte, die vor einigen Jahren von New York nach Berlin gezogen ist, gab mehrere ausführliche Interviews und trat bei Markus Lanz auf.
Was sie bei diesen Gelegenheiten erzählte, stieß in Teilen der jüdischen Gemeinschaft auf Kritik. Feldman hat nie Antisemitismus in Neukölln erlebt? Sie glaubt, jetzt sei in Nahost die Zeit für Frieden?
Viele haben andere Erfahrungen gemacht, ziehen andere Schlüsse. Man kann Feldmans Perspektive kritisieren, aber sie ist selbstverständlich als eine unter zahlreichen zu akzeptieren. Wenn sie jedoch Sätze sagt wie diesen in einem Interview mit der Berliner Zeitung: »Die Einzigen, die hier als richtige Juden gelten, sind die, die sich für das erzkonservative und rechte Vorhaben der israelischen Regierung aussprechen«, oder behauptet, man dürfe in Deutschland »nur auf eine bestimmte Art und Weise über Israel sprechen«, dann entbehrt das jeder faktischen Grundlage.
Man hätte sich von den Interviewern eine simple Frage gewünscht: »Haben Sie dafür irgendeinen Beleg?« Gegenbeispiele gibt es nämlich zahlreiche. Nur eines: Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, zählte von Anfang an zu den schärfsten Kritikern der Pläne von Netanjahus neuer Regierung. Hat ihm deshalb jemand abgesprochen ein »echter« Jude zu sein?
Feldmans haltlose Thesen sind zudem ein offenkundiger Selbstwiderspruch. Schließlich darf sie diese wiederholt in großen Medien und zur besten Sendezeit aufstellen. Es ist gut, wenn es in deutschen Medien Meinungsvielfalt über Israel und das Judentum gibt. Das macht uns als offene Gesellschaft aus. Eine Regel sollten aber alle befolgen müssen: Halte dich an die Fakten!
Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin.
Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie demnächst ein ausführliches Streitgespräch zwischen Deborah Feldman und Philipp Peyman Engel, dem Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen.