Anlässlich des Holocaust-Gedenktages veröffentlichte das ZDF vergangene Woche eine neue Folge aus der Reihe aspekte mit dem Titel »Kein Genozid wie jeder andere – wie wollen wir uns an den Holocaust erinnern?«.
Im Fokus der Sendung stand die Auseinandersetzung mit der Frage nach neuen Formen der deutschen Erinnerungskultur. Vor dem Hintergrund der zunehmend offen artikulierten Schoa-Relativierungen scheint dieses zunächst ein löbliches Vorhaben zu sein.
Nach dem einleitenden Bericht über die Täterseite und die Opferperspektive im Holocaust tritt in der aspekte-Sendung der australische Historiker Dirk Moses auf, der die These eines vermeintlichen deutschen »Katechismus« formuliert, wonach die Prämisse der historischen Einzigartigkeit des Holocaust nicht angezweifelt werden dürfe. In der »dogmatischen Argumentation« der Beispiellosigkeit des Holocaust sehe er fatale Folgen für die deutsche Einwanderungsgesellschaft.
Unmittelbar darauf taucht in dem Beitrag der palästinensischstämmige Philosoph Sami Khatib auf, der verlangt, »dass die deutsche Politik aus diesen Völkerrechtsverletzungen Konsequenzen ziehen muss, nur dann würde auch die deutsche Erinnerungskultur ihren eigenen moralischen Maßstäben gerecht«. Die deutsche Staatsräson stünde dem im Weg.
Nicht nur wird damit in der ZDF-Sendung anlässlich des Holocaust-Gedenktages die Schoa relativiert, sie wird auch noch mit dem Leid der Palästinenser verglichen. Im weiteren Verlauf der Sendung wird die »Nakba« als Begriff für die palästinensische Vertreibung im Zuge der israelischen Staatsgründung eingeführt.
Dass Israel einen Tag nach seiner Staatsgründung von mehreren arabischen Armeen angegriffen wurde und es folglich zu antijüdischen Pogromen und zur Vertreibung von Juden in sämtlichen arabischen Staaten weltweit kam, wird jedoch ausgeblendet. Auch finden die jährlichen »Nakba-Tag« Demonstrationen, auf denen zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, keine Erwähnung im Beitrag.
Die Terrororganisation Hamas taucht mit keinem Wort in dem Bericht auf.
Schlecht recherchiert scheint auch die in der Sendung erwähnte, vermeintliche israelische Besatzung im Gaza-Streifen zu sein. Denn seit 2005 wurden auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Ariel Scharon israelische Truppen konsequent aus Gaza abgezogen, seit 2007 steht Gaza unter der Kontrolle der Terrororganisation Hamas und keine einzige jüdische Person bewohnt mehr diesen Küstenstreifen. Die Hamas taucht aber mit keinem Wort in dem Bericht auf. Ein peinlicher Fehler des ZDF oder bewusstes Schüren von israelfeindlichen Ressentiments?
Bildungsauftrag Bemerkenswert, wie es dem ZDF gelang, in dieser Sendung den Bogen vom Bericht einer Urenkelin über die Verbrechen ihres Nazi-Urgroßvaters zur »israelischen Besatzung« zu spannen. Die Schoa zu relativieren und Juden von Opfern zu Tätern zu erklären, ist antisemitisch.
Welchem Bildungsauftrag wurde das ZDF mit dieser Sendung gerecht? Wie viele antisemitische Fehltritte darf sich das ZDF noch erlauben? Der Aufarbeitung der deutschen NS-Vergangenheit wird mit Sendungen wie dieser ein Bärendienst erwiesen.
Der Holocaust war kein Genozid unter vielen. Die Einzigartigkeit dieser NS-Vernichtungsmaschinerie ist beispiellos und das Leid der Opfer des Nationalsozialismus ist nicht mit der Situation der Palästinenser zu vergleichen. Das Leid der Palästinenser ist schrecklich und unzumutbar, aber Juden und Israelis dafür die alleinige Schuld zuzuschreiben, ist schockierend.
Hochproblematisch ist es, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk antiisraelische Ressentiments wiederholt schürt, die damit den Nährboden für israelbezogenen Antisemitismus in Deutschland wieder schaffen. Dass israelbezogener Antisemitismus eine reale Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Deutschland ist, haben wir spätestens im Mai und Juni des vergangenen Jahres gesehen. Allerspätestens.
Hochproblematisch ist, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk antiisraelische Ressentiments schürt.
Erst kürzlich stellte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) gemeinsam mit dem Internationalen Institut für Bildung Sozial- und Antisemitismusforschung (IIBSA) einen Bericht zu israelbezogenem Antisemitismus vor. Zwischen dem 9. Mai 2021 und dem 8. Juni 2021 kam es allein in Berlin im Kontext der Eskalation im Nahen Osten zu 152 (!) antisemitischen Vorfällen und bundesweit zu 121 israelfeindlichen Versammlungen. Diese Zahlen sprechen Bände. Und die Dunkelziffer ist noch einmal dramatisch höher.
Zum 77. Mal hat sich der Holocaust-Gedenktag nun gejährt. In der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen haben wir gesamtgesellschaftlich noch Einiges zu leisten. Ein Weg wird sicherlich sein, den Historikerstreit nie wieder aufleben zu lassen. Denn die Schuldabwehr, entweder in Form von Täter-Opfer-Umkehrmechanismen oder durch Schoa-Relativierungen dürfen wir unter keinen Umständen weiter zulassen – das sind wir den unzähligen in der Schoa ermordeten Menschen schuldig.
Die Autorin ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).
In der ursprünglichen Version des Kommentars stand, dass jüdische Stimmen im Rahmen der Sendung nicht vorgekommen seien. Dies war nicht korrekt. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.