Seit mehr als zwei Wochen hängen graue Wolken über Israel, regnet es fast ununterbrochen. Das Wetter passt zur düsteren Stimmung im Land. Die Angehörigen der Geiseln schert weder Regen noch Kälte. Tagein, tagaus stehen sie in knöchelhohen Pfützen, während sich in ihren Gesichtern Tränen mit Regentropfen mischen, schreien sich heiser und betteln um das Leben ihrer Liebsten, die in Löchern und Tunneln in Gaza festgehalten werden.
Wieder und wieder beschwören sie die Regierung in Jerusalem, ihre Familienmitglieder nicht zurückzulassen.
Und was tun elf Minister und 15 Abgeordnete der regierenden Koalition? Sie singen und frohlocken auf einer Veranstaltung in Jerusalem, die sich »Konferenz zur Wiederbesiedlung des Gazastreifens« nennt. Während der Krieg tobt, geben sie sich in Karnevalsstimmung, Polonäse inklusive. Ganz vorn dabei die rechtsextremen Mitglieder der Regierung, Finanzminister Bezalel Smotrich und sein Gesinnungsgenosse, der Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir.
Während der Konferenz wurden Einzelheiten präsentiert
Doch auch Minister des Likud von Premierminister Benjamin Netanjahu zeigen sich enthusiastisch in Sachen Siedlungen in Gaza. Allen voran Shlomo Karchi, Kommunikationsminister. Der fordert, dass »angeblich unbeteiligte Zivilisten so lange gezwungen werden müssen, bis sie sagen, dass sie auswandern wollen«. Über allem weht das Plakat, dass »nur ein Transfer Frieden bringt«. Damit gemeint ist die Vertreibung von Palästinensern aus Gaza.
Likud-Minister Haim Katz, der das Tourismusressort anführt, meint: »Heute, nach 18 Jahren [nach dem Rückzug aus Gaza], haben wir die Gelegenheit, das Land Israel wieder auszubauen und zu erweitern. Dies ist unsere letzte Chance.«
»Angeblich unbeteiligte Zivilisten müssen so lange gezwungen werden, bis sie sagen, dass sie auswandern wollen.«
kommunikationsminister shlomo karchi
Während der Konferenz werden den Tausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern Einzelheiten über jüdische Siedlungen samt Karten und Abwicklung präsentiert, zusammen mit der Aufforderung an die Entscheidungsträger, anzuerkennen, dass ein Sieg nur durch die jüdische Besiedlung des Gazastreifens errungen werden kann.
Zwar haben andere Mitglieder der Regierung klargemacht, dass es keine jüdische Besiedlung in Gaza geben werde, beispielsweise Verteidigungsminister Yoav Gallant, doch das Bild, das aus Israel um die Welt geht, sind die tanzenden Minister, die einen Transfer von Palästinensern fordern.
Premier Netanjahu lehnt Besiedlung Gazas ab
Zwar lehnte auch Netanjahu, der nicht an der Konferenz teilnahm, ein derartiges Vorhaben mehrfach ab, aber für die Außenwirkung hätte der Premier, wenn gewollt, seine Minister sicher vorab zügeln können. Denn heute wie kaum jemals zuvor braucht Israel die Unterstützung der Welt – von den USA über Europa bis zu den gemäßigten arabischen Staaten.
Dass das, was die Extremisten wollen, zu jeder Zeit falsch ist, steht außer Frage. Ebenso, dass der Transfer-Frieden-Slogan vor Zynismus nur so strotzt. Doch der Zeitpunkt, an dem die Ultrarechten es fordern, macht ihre Scharade umso verabscheuungswürdiger. Während die Soldatinnen und Soldaten Israels in Gaza kämpfen und sterben, die Geiseln in einem andauernden Alptraum gefangen sind, drehen sich die Minister im Taumel ihrer wahnhaften Ideologie und einzig um sich selbst.
Für die Soldaten, die Angehörigen der Geiseln, die Hinterbliebenen der Opfer des Massakers vom 7. Oktober und die mehr als 200.000 Binnenflüchtlinge muss es wie ein Schlag ins Gesicht sein. Denn der Zusammenhalt des israelischen Volkes ist den Teilnehmern der Konferenz offenbar genauso egal wie das Leben der Geiseln in Gaza, die sie durch ihre unheilvollen Pläne noch weiter gefährden.
Immerhin wurde die Maske der scheinheiligen »Einheit« mit dieser Veranstaltung heruntergerissen. Die offiziellen Regierungsvertreter haben klargemacht, was ihnen wirklich wichtig ist und ihr wahres Gesicht gezeigt.