Meinung

Das Problem bei der Wurzel packen

Vor genau zwei Wochen bat mich ein Kippa tragender Bekannter aus Frankreich um Rat. Er und ein paar Freunde waren wegen seines Junggesellenabschieds zu Besuch in Berlin-Charlottenburg. Er sei nicht sicher, in welche Synagoge sie am Samstag gehen sollten.

Nachdem wir in zahlreichen Textnachrichten diskutiert hatten, welche es auf keinen Fall sein dürfe und welche trotz allem okay sei, schrieb ich ihm zum Abschied: »Viel Spaß beim Feiern, Jungs. Ach ja: Morgen ziehen in eurer Ecke Antisemiten durch die Stadt, tragt lieber keine Kippa.«

AL-QUDS-MARSCH Zwei Tage darauf mogelte ich mich, wie fast jedes Jahr seit 2014, in den Al-Quds-Marsch und wurde auch diesmal Zeuge ekelerregend israelfeindlicher, antiamerikanischer, antidemokratischer, weltverschwörerischer Rhetorik. Die Stimmung war aufgeheizt, Israel und die USA wurden verteufelt, die typische Mullah-Propaganda aus Teheran lautstark verbreitet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Was ich aber auch beobachtete: Die seit 2016 immer härter werdenden Demonstrationsauflagen wirken. Waren 2015 noch massenweise Konterfeis libanesischer Terroristen, Hisbollah-Flaggen, blutüberströmte Babypuppen zu sehen und klar antisemitische Sprechchöre zu hören, so waren das seit 2016 Einzelfälle, die von der Polizei meistens sofort unterbunden wurden. Dieses Jahr sah ich einen einzigen Mann im Hamas-T-Shirt, der von einem Ordner umgehend von der Demo entfernt wurde.

All dies macht die Intentionen der Al-Quds-Demonstranten nicht besser. Es zeigt aber, dass unsere Demokratie, unsere Polizei, unsere Zivilgesellschaft den Al-Quds-Marsch aushalten und in die Schranken weisen können, wenn durch das rigorose Durchsetzen sinnvoller Auflagen und die Mobilisierung aller Demokraten der richtige Rahmen gesetzt wird. Nicht umsonst waren dieses Jahr erstmals seit dem ersten Al-Quds-Marsch mehr Gegendemonstranten als Israelhasser auf der Straße.

Die Hisbollah nutzt Deutschland als Rückzugsraum. Hier verdient und wäscht sie Geld, hier können ihre Mitglieder untertauchen.

DECKMANTEL Das eigentliche Problem kann unsere Demokratie aber nicht einfach aus- und in Schach halten: die Hisbollah, von deren 950 in Deutschland lebenden Unterstützen viele am vorletzten Samstag über den Ku’damm marschierten. Die Terrororganisation ist eine reale, hochgefährliche Bedrohung für die innere Sicherheit Deutschlands, nicht nur für Juden, und für viele unserer internationalen Verbündeten, nicht nur für Israel. Ganz zu schweigen von den zahllosen Syrern, die die Hisbollah ermordet oder vertrieben hat.

Die Hisbollah nutzt gerade Deutschland als Rückzugsraum. Hier verdient und wäscht sie Geld, teils durch Drogenhandel, hier kann sie planen, hier können ihre Mitglieder untertauchen. Zwar ist der vermeintliche militärische Flügel der Hisbollah auch in Deutschland verboten, aber gegen jene Aktivitäten, die unter dem Deckmantel des in der Realität nicht existierenden politischen Flügels stattfinden können, haben die Sicherheitsbehörden keine effektive Handhabe.

Dieser unerträgliche Missstand hat auch eine gewichtige symbolische Komponente. Die Hisbollah ist seit Jahrzehnten weltweit für Mord, Terrorismus, religiöse Unterdrückung und Destabilisierung verantwortlich. Dass gerade die Friedensmacht Deutschland es nicht schafft, diese Organisation in ihrer Gänze als das zu benennen, was sie ist, ist ein moralisches Armutszeugnis.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

AUSSENPOLITIK Im Austausch mit deutschen Außenpolitikern erfahre ich seit Jahren oft, dass man die Hisbollah aus realpolitischen Gründen nicht auf die Terrorliste setzen könne, da sonst unter anderem die Gesprächsfäden zur libanesischen Regierung abreißen würden. Auf die Entgegnung, welches der deutschen Außenpolitik als Enigma erscheinende Geheimnis Länder wie die Niederlande, Kanada und Großbritannien kennen – allesamt haben die Hisbollah als Terrororganisation eingestuft und unterhalten weiterhin diplomatische Beziehungen nach Beirut –, habe ich bislang keine sinnvolle Antwort gehört.

So schlimm es ist, Kippa tragenden Freunden explizit raten zu müssen, sich nicht als Juden erkennen zu geben, wenn die Hisbollah und ihre Freunde marschieren: Es kann rasch noch schlimmer werden. Sollte die Bundesregierung nicht schleunigst handeln und den Sicherheitsbehörden alle Mittel gegen die Hisbollah an die Hand geben, wird eine noch größere Bedrohung durch diese mächtigste aller Terrororganisationen bald ohne zeitliche Begrenzung, überall und für jeden Menschen in Deutschland und Europa gelten.

Der Autor ist Politikberater und Mitglied der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Meinung

Gefährliche Allianz von Feminismus und Antisemitismus

In Lausanne galt auf der Kundgebung zum Weltfrauentag: Jüdinnen sind nicht willkommen. Das ist weder emanzipatorisch noch feministisch

von Nicole Dreyfus  13.03.2025

Daniel Neumann

Darmstadt: Diesmal ließ die Kirche Taten folgen

Nach dem antisemitischen Eklat in der Michaelsgemeinde greift die Evangelische Landeskirche entschlossen durch. Das verdient Anerkennung

von Daniel Neumann  12.03.2025

Meinung

Die stärksten Menschen der Welt

Die ehemaligen Geiseln Eli Sharabi und Yarden Bibas sind durch die Hölle gegangen. Kaum sind sie frei, setzen sie sich unermüdlich für die Rückkehr ihrer »Brüder und Schwestern« ein

von Sabine Brandes  12.03.2025

Purim

An Purim wird »We will dance again« wahr

Das Fest zeigt, dass der jüdische Lebenswille ungebrochen ist – trotz der Massaker vom 7. Oktober

von Ruben Gerczikow  12.03.2025

Meinung

Die Gewalt in Syrien war absehbar

Islamisten tun, was sie immer getan haben: massakrieren, verstümmeln, unterdrücken

von Ninve Ermagan  11.03.2025

Meinung

Warum wir über Antisemitismus unter Syrern sprechen müssen

Immer wieder fallen syrische Geflüchtete mit judenfeindlicher Gewalt auf. Um solche Taten zu verhindern, braucht es eine rationale Analyse

von Joshua Schultheis  11.03.2025

FDP

Duell der Silberrücken

Die möglichen Bewerber um eine Parteiführung der Liberalen, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Wolfgang Kubicki, beziehen sehr unterschiedlich Position zu Israel

von Ralf Balke  06.03.2025

Kommentar

Harte Haltung gegen die Hamas

Dass US-Präsident Donald Trump sich mit freigelassenen Geiseln traf, ist mehr, als große Teile der israelischen Regierung tun

von Sabine Brandes  06.03.2025

Sophie Albers Ben Chamo

Wo sind deine Frauen, o Israel?

Die Zahl der Ministerinnen und weiblichen Knessetmitglieder ist auf einem Tiefstand. Der Internationale Frauentag wäre für Israel ein guter Zeitpunkt, nach seinen starken Frauen zu suchen

von Sophie Albers Ben Chamo  06.03.2025