Gastkommentar

Das Gaza-Clickbaiting rettet keine Menschenleben

Es gibt im Westen und in den sozialen Medien einen Trend, Fakten einfach auszublenden und stattdessen an die Emotionen der Menschen zu appellieren. Mit Zahlen toter Zivilisten und Bildern zerstörter Häuser im Gazastreifen wird gerade mächtig für Aufruhr gesorgt.

Zwar ist es wichtig, die Öffentlichkeit über Menschenrechtsverletzungen zu informieren, über die nicht oder zu wenig berichtet wird. Dazu gehören der Genozid in Darfur, Bangladesch, die Hinrichtungswelle im Iran und andere weithin ignorierte Gräueltaten. Der Gazakrieg gehört jedoch nicht in diese Kategorie, im Gegenteil: Es gibt kaum ein Thema weltweit, über das mehr berichtet wird.

Wer ständig in den sozialen Netzwerken grauenvolle Bilder postet, ohne gleichzeitig für realistische Lösungen zu mobilisieren, schürt Hass und rettet keine Menschenleben. Was nämlich auf die »Seht her, wie schrecklich«-Phase folgen müsste, sind Einlassungen informierter Menschen, die auf rationalem Denken und nicht auf Emotionen, Angst, Hass oder Sündenbockdenken fußen.

Die Mehrheit derer, die ständig schreckliche Bilder und Geschichten aus Gaza verbreiten, unternimmt selbst aber herzlich wenig, um Zivilisten zu retten. Sie üben keinen Druck auf die Verantwortlichen aus, die die Macht hätten, Zivilisten zu retten - allen voran die Hamas, die UN oder die NATO. Stattdessen posten sie die Bilder als eine Art Clickbait und verschlimmern so das Problem weiter. Denn wir wissen alle: Clickbait rettet keine Zivilisten!

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Dabei gäbe es konkrete Maßnahmen zum Schutz der Zivilisten in Gaza, die man einfordern könnte. Zum Beispiel könnte man sich auf UN-Ebene für die Einrichtung einer international verwalteten Sicherheitszone nur für Zivilisten einsetzen, in der weder die Hamas und noch die IDF zugelassen wären. Der UN-Sicherheitsrat hätte längst gemäß der UN-Charta sichere Zonen oder humanitäre Korridore einrichten können. Uns sind aber keine Massendemonstranten bekannt, bei denen »Schutzzonen jetzt!« gerufen worden wäre.

Man könnte sich auch für einen vorübergehenden Zufluchtsort in Ägypten, auf der anderen Seite des Grenzübergangs Rafah, einsetzen. Doch auch diese Forderung hört man selten. Oder man könnte die Finanzierung der UNWRA einstellen und die Hilfsgelder stattdessen an Ägypten umleiten, um dort für Zivilisten einen sicheren vorübergehenden Zufluchtsort vor dem Krieg zu schaffen. Dann könnte die Hamas die Hilfe nicht mehr stehlen. Wäre das nicht besser als Parolen wie »Gaza=Völkermord!« und »From the River to the Sea«?

Israel hat im eigenen Land 200.000 seiner Bürger evakuiert. Die Hamas hat niemanden evakuiert.

Es wird behauptet, Israel verhindere durch seine Blockade die Evakuierung von Zivilisten in Gaza. Selbst wenn das der Fall wäre: Ginge es den Aktivisten wirklich darum, Leben zu retten, würden sie ihre Idee nicht so schnell wieder aufgeben. Dieselben Aktivisten werden ja auch nicht müde, Autobahnen zu blockieren oder demonstrieren zu gehen. Warum also nicht den geplagten Menschen helfen? Die Antwort ist ganz einfach: Es würde nicht ins Narrativ passen – in das Narrativ von der Hamas als Widerstandsbewegung gegen den bösen Besatzer Israel.

Niemand (selbst die Hamas nicht) hat bislang Zahlen veröffentlicht darüber, wie viele Zivilisten versucht haben, den Gazastreifen zu verlassen, aber angeblich von Israel abgewiesen wurden. Man müsste annehmen, dass jeden Tag Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende an den Grenzübergängen stehen und verlangen, hinausgelassen zu werden. Nur gibt es keine entsprechenden Videos und Berichte.

Das bedeutet natürlich nicht, dass Zivilisten Gaza nicht verlassen wollten. Doch weite Teile der Küstenenklave werden immer noch von der Hamas kontrolliert. Massenhafte Ausreise-Versuche würden von ihr als Zeichen der Schwäche, als Untergrabung ihrer Autorität angesehen und unterbunden. Zivilisten müssen Repressalien fürchten, wenn sie versuchen, zu fliehen.

Für Lösungen, die Menschenleben retten

Die Hamas hat überhaupt kein Interesse daran, Zivilisten zu schützen. Sie benutzt sie erst als menschliche Schutzschilde und über den Tod hinaus als Clickbait, um massenhaft Empörung und Hass zu provozieren, und damit Verantwortung, Schuld und Kritik von sich selbst auf ihre Gegner zu projizieren. Sie weiß, dass ihr Feind mehr Mitgefühl für die Menschen in Gaza hat als sie selbst. Könnte die Zivilbevölkerung evakuiert werden, hätte die Hamas nur noch wenig Handlungsspielraum.

Israel hingegen hat im eigenen Land 200.000 seiner Bürger evakuiert, sowohl in der Nähe des Gazastreifens als auch im Norden, der von der Hisbollah beschossen wird. Die Hamas hat niemanden evakuiert. Trotzdem steht Israel international am Pranger, nicht die Hamas.

Es ist erstaunlich, dass selbst internationale Organisationen nicht für eine Evakuierung des Gazastreifens plädieren. Seit Monaten wartet die Welt auf Vorschläge, die speziell darauf abzielen, wie Zivilisten in Gaza besser geschützt werden können.

Warum schließen sich nicht alle zusammen und fordern gemeinsam wirksame Maßnahmen? Für die Einrichtung von Schutzzonen, für die Evakuierung von Zivilisten? Für Lösungen, die tatsächlich Menschenleben retten?

Die Antwort ist einfach: Weil es für viele von ihnen nie darum ging, Leben zu retten. Für die meisten ist es ein Anlass, auf Kosten der zivilen Opfer durch emotionale Manipulation irrationalen Hass zu schüren, gegen Juden, gegen den Westen und gegen die Zivilgesellschaft in der Region. Die psychologische Gewalt des dschihadistischen Terrorismus gegen die friedlichen Völker des Nahen Ostens wird so neu entfacht. Die Ausbeutung ziviler Kriegsopfer für Clickbait hat nichts mit humanitären Anliegen zu tun, sondern dient der psychologischen Kriegsführung.

Um Leben zu retten, bedarf es aber internationaler Zusammenarbeit für wirksame Maßnahmen. So konnten bereits in der Vergangenheit nachweislich Kriegsopfer verhindert und unschuldige Menschen gerettet werden.

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Die Autoren sind Co-Präsidenten der Plattform Educate America.

Gazelle Sharmahd wuchs in Deutschland auf und lebt in Kalifornien. Sie ist die Tochter des 2020 vom Geheimdienst der Islamischen Republik Iran in Dubai entführten und später zum Tode verurteilten deutschen Staatsbürgers Jamshid Sharmahd.

Dr. Walid Phares ist außenpolitischer Berater in Washington, Professor für Politikwissenschaften, Buchautor und Medienanalyst.

Die Langfassung dieses Beitrags wurde ursprünglich auf der Webseite der »American Mideast Coalition for Democracy« veröffentlicht.

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