Jan Fingerland

Corona: Die Folgen des Prager Sommers

Jan Fingerland Foto: pr

Tschechien verzeichnet jeden Tag Tausende Corona-Neuinfektionen. Dabei stand das Land, in dem Gesundheitsminister eine Halbwertszeit von einem oder bestenfalls zwei Jahren haben, noch im Frühling mit seinen Hygiene-Maßnahmen sehr gut da: Tschechien machte zum Beispiel als einer der ersten Staaten das Maskentragen verpflichtend.

Zugegeben, der Staat sorgte zwar nicht dafür, dass es auch Masken gibt, aber Tschechen sind Meister der Improvisation, und so nähten wir für uns und unsere Nachbarn gleich mit. Die Textilläden waren ja offen.

schwarzer humor Die Baumärkte übrigens auch, weshalb viele scherzten, dass man, wenn es hart auf hart käme, auch Beatmungsgeräte basteln könne. Aber die Tage des schwarzen Humors sind vorbei. Und das Virus hat das Land voll im Griff.

Doch dieses Mal steht Tschechien alles andere als gut da. Vorbereitungen auf eine zweite Welle? Fehlanzeige! Die Regierung hat sich eher auf Eigen-PR konzentriert als darauf, verpflichtende Maßnahmen festzulegen, die es den ganzen Sommer über fast nirgends gab.

Tschechien ist eben nicht nur die Bohème von Kafka, sondern auch die Realität von Josef Schwejk

Außerdem gewinnen Amateur-Epidemiologen und ebensolche Virologen – vom Pop-Sänger bis hin zum Publicity liebenden Zahnarzt – immer mehr an Einfluss. Eine gefährliche Mischung mit schlimmen Folgen.

SZENARIO Hielten sich noch im Frühjahr die Menschen an die Vorschriften, kommt nun eine Seite zum Vorschein, die ebenso typisch für die tschechische Psyche ist wie das Improvisieren: Regeln missachten und sie umgehen. Leute treffen sich in Pubs, geben vor, eine Pause von der ebenso herbeigeschwindelten Renovierung des Pubs zu machen.

Tschechien ist eben nicht nur die Bohème von Kafka, sondern auch die Realität von Josef Schwejk. Derweil sterben Menschen an den Folgen von Covid-19, und es geht die Angst vor einem »italienischen Szenario« um. Die Regierung hat in der Pandemie auf Zeit gesetzt – einen schlimmeren Fehler hätte sie nicht machen können.

Der Autor ist Journalist und lebt in Prag.

Kommentar

Shiri, mein Herz bricht für dich

Sarah Cohen-Fantl will nicht verzeihen, dass Shiri, Kfir und Ariel Bibas nicht gerettet wurden

von Sarah Cohen-Fantl  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Vieles, was der Berliner sagt, ist bedenklich nah dran an Hamas-Propaganda.

von Susanne Stephan  19.02.2025

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

Meinung

Was »Sensibilität« bei der Berlinale bedeutet

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  20.02.2025 Aktualisiert

Einspruch!

Holt sie aus der Hölle raus

Sabine Brandes fordert, alles dafür zu tun, um auch die letzten verbliebenen Geiseln zu retten

von Sabine Brandes  13.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025