Tschechien verzeichnet jeden Tag Tausende Corona-Neuinfektionen. Dabei stand das Land, in dem Gesundheitsminister eine Halbwertszeit von einem oder bestenfalls zwei Jahren haben, noch im Frühling mit seinen Hygiene-Maßnahmen sehr gut da: Tschechien machte zum Beispiel als einer der ersten Staaten das Maskentragen verpflichtend.
Zugegeben, der Staat sorgte zwar nicht dafür, dass es auch Masken gibt, aber Tschechen sind Meister der Improvisation, und so nähten wir für uns und unsere Nachbarn gleich mit. Die Textilläden waren ja offen.
schwarzer humor Die Baumärkte übrigens auch, weshalb viele scherzten, dass man, wenn es hart auf hart käme, auch Beatmungsgeräte basteln könne. Aber die Tage des schwarzen Humors sind vorbei. Und das Virus hat das Land voll im Griff.
Doch dieses Mal steht Tschechien alles andere als gut da. Vorbereitungen auf eine zweite Welle? Fehlanzeige! Die Regierung hat sich eher auf Eigen-PR konzentriert als darauf, verpflichtende Maßnahmen festzulegen, die es den ganzen Sommer über fast nirgends gab.
Tschechien ist eben nicht nur die Bohème von Kafka, sondern auch die Realität von Josef Schwejk
Außerdem gewinnen Amateur-Epidemiologen und ebensolche Virologen – vom Pop-Sänger bis hin zum Publicity liebenden Zahnarzt – immer mehr an Einfluss. Eine gefährliche Mischung mit schlimmen Folgen.
SZENARIO Hielten sich noch im Frühjahr die Menschen an die Vorschriften, kommt nun eine Seite zum Vorschein, die ebenso typisch für die tschechische Psyche ist wie das Improvisieren: Regeln missachten und sie umgehen. Leute treffen sich in Pubs, geben vor, eine Pause von der ebenso herbeigeschwindelten Renovierung des Pubs zu machen.
Tschechien ist eben nicht nur die Bohème von Kafka, sondern auch die Realität von Josef Schwejk. Derweil sterben Menschen an den Folgen von Covid-19, und es geht die Angst vor einem »italienischen Szenario« um. Die Regierung hat in der Pandemie auf Zeit gesetzt – einen schlimmeren Fehler hätte sie nicht machen können.
Der Autor ist Journalist und lebt in Prag.