Derzeit reden wir viel über Rassismus gegenüber nichtweißen Menschen. Es ist auch an der Zeit, über eigene Erfahrungen mit Rassismus zu sprechen – wie er meiner Familie, mir und vielen jüdischen Migranten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland widerfahren ist.
Als wir vor 30 Jahren nach Deutschland kamen, waren wir äußerlich anders. Unsere Namen, unsere Kultur und selbst das Verständnis der eigenen gemeinsamen Religion waren anders. Wir wurden weder von der deutschen Mehrheitsgesellschaft noch von den eigenen Gläubigen mit offenen Armen empfangen.
ABLEHNUNG Wir waren Fremde. In den ersten Jahren schaute man uns in den Gemeinden verurteilend an. Unser Jom Kippur war der Tag des Sieges. Schabbat, Challa und Kaschrut kannten wir meist nicht.
Als Juden in der Sowjetunion wurden wir diskriminiert, benachteiligt und drangsaliert, nun erlebten viele in der neuen freien Welt wieder Ablehnung und Verachtung aufgrund unserer anderen jüdischen Herkunft.
Wie oft wurde der russische Akzent nachgemacht, wurden Namen wie Boris oder Arakady nicht ernst genommen, verstand man unsere Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg nicht, missachtete man unsere Kultur, Literatur und Musik.
Wir, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, bilden die neue Mehrheit des neuen deutschen Judentums.
Das deutsche Judentum gibt es aber in seiner ursprünglichen Form zahlenmäßig nicht mehr, und Mehrheit ist eben Mehrheit. Wir, Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, bilden diese neue Mehrheit des neuen deutschen Judentums.
SELBSTBEWUSSTSEIN Wir sind eine neue Generation von selbstbewussten jüdischen Deutschen, die ihre Wurzeln aus der Sowjetunion weder vergessen noch ablehnen. Borschtsch, Kaschrut und Bier – das funktioniert. Man kann Katjuscha heißen und die Nationalhymnen Deutschlands und Israels singen. Man kann Puschkins Gedichte lesen und stolz auf die Errungenschaften bedeutender deutscher Juden sein.
Es ist auch nicht verwerflich, nicht jeden Psalm zu kennen und sich doch zugehörig zu fühlen. Wichtig ist, die gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen. Wir schaffen das – auch ohne Rassismus.
Der Autor arbeitet als politischer Berater in Berlin.