Fast täglich postet Josep Borrell auf X und kommentiert die Weltlage. Seinem X-Account folgen knapp eine halbe Million Menschen. Zuletzt häuften sich die israelkritischen Kommentare des Hohen Beauftragten der Europäischen Union für die Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, wie er offiziell heißt.
Borrell spricht zumeist im Namen der Europäischen Union; zumindest klingt es so. Auf X finden sich dann bezeichnende Sätze wie »Die EU ist entsetzt über die anhaltenden Angriffe der israelischen Armee im Libanon« oder »Die Ereignisse im Norden des Gazastreifens werden immer häufiger als ›ethnische Säuberung‹ bezeichnet.«
Ob die Verlautbarungen abgestimmt sind mit den 27 Mitgliedsstaaten, die Borrell so politisch in Mithaftung nimmt, ist nicht immer klar und darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Denn eigentlich sind es die Regierungen, die die EU-Außenpolitik maßgeblich bestimmen, nicht Borrell.
Doch auf die nimmt der Sozialist, der schon vor 20 Jahren Präsident des Europäischen Parlaments war und später spanischer Außenminister, keine Rücksichten mehr. Wozu auch? Mit 77 Jahren dürfte seine politische Karriere dem Ende zugehen. Wenn alles nach Plan läuft, wird er schon in ein paar Wochen sein Amt an die Estin Kaja Kallas abtreten.
Vielleicht gibt Josep Borrell auch deshalb jetzt noch mal so richtig Gas. Rhetorisch zumindest, denn echte Macht kann er nicht ausüben. Dem Rat der EU-Außenminister sitzt der HRVP, wie er im Brüsseler Jargon oft genannt wird, zwar vor. Er hat dort aber kein Stimmrecht. Als Außenbeauftragter muss er alle 27 Mitglieder hinter sich haben, um mit Autorität auftreten und etwas bewegen zu können. Das gelang ihm recht gut bei der Unterstützung für die Ukraine, bei anderen Themen hingegen nicht.
Abkommen mit Israel aussetzen?
Nun hat Borrell vor seiner womöglich letzten Ratssitzung Anfang kommender Woche den Mitgliedsstaaten einen Vorschlag unterbreitet, der es in sich hat. Er will das sogenannte Assoziierungsabkommen zwischen Israel und der EU aussetzen lassen. Es bildet die Basis für die Zusammenarbeit zwischen dem jüdischen Staat, der Union und ihrer Mitgliedsstaaten.
Der seit dem Jahr 2000 gültige Vertrag regelt nicht nur die Handelsbeziehungen, die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie und den Kapitalverkehr. Er bildet auch die Grundlage für einen »regelmäßigen politischen Dialog« und einer »dauerhaften Partnerschaft«.
Den Kritikern Israels in Brüssel ist er seit langem ein Dorn im Auge. Und das, obwohl die EU ähnliche Abkommen auch mit anderen Staaten in seiner Nachbarschaft hat, darunter die Schweiz oder die Ukraine. Zuletzt hatten Spanien und Irland gefordert, wegen der israelischen Kriegsführung in Gaza die Aussetzung des Abkommens prüfen zu lassen.
Borrell und seine Vorgängerin Federica Mogherini hatten sich lange geweigert, den vertraglich vorgesehen Assoziierungsrat einzuberufen, bei dem sich europäische und israelische Vertreter regelmäßig auf Ministerebene treffen sollen. 2022 kam man erstmals nach einem Jahrzehnt Pause in diesem Format zusammen. Jetzt will Borrell noch weiter gehen und die Kooperation zwischen Brüssel und Jerusalem ganz auf Eis legen. Sein Ziel: Israel soll zu einer Änderung seiner Politik gegenüber den Palästinensern gezwungen werden.
Schon bei der Ratssitzung Anfang nächster Woche will der Spanier Informationen dieser Zeitung zufolge darüber abstimmen lassen. Neben der Frage von EU-Sanktionen gegen radikale Siedler (auch das ein Vorschlag, den Borrell seit langem vorantreibt), will er den Ministern ein Briefing zur israelischen Gesetzgebung gegen die UNRWA und zum Gutachten des Internationalen Gerichtshofs hinsichtlich der Legalität israelischer Siedlungen zu geben.
Der Versuch, Israel eins auszuwischen, ist zum Scheitern verurteilt
Doch die Aussetzung des Assoziierungsabkommens wäre ein echter Paukenschlag. Diplomaten zufolge hat der Auswärtige Dienst der EU, der Borrell zuarbeitet, einen Text ausgearbeitet. Dieser lag – angesichts der Tragweite der Entscheidung eher ungewöhnlich – bis gestern noch nicht vor, obwohl diverse Medien bereits über die Initiative berichteten.
Josep Borrell hat Israel in seiner fünfjährigen Amtszeit keinen Besuch abgestattet, erst, weil er nicht dorthin wollte und dann, weil er nicht mehr willkommen war. Er dürfte wissen, dass sein Versuch, Israel auf den letzten Drücker eins auszuwischen, zum Scheitern verurteilt ist.
Zwar wird in den europäischen Hauptstädten die Kritik am Vorgehen der israelischen Armee in Gaza, im Westjordanland und im Libanon immer lauter. Doch noch gibt es genügend EU-Staaten, die eine einseitige Aussetzung der Zusammenarbeit der EU mit Israel ablehnen werden. Ihre Stimmen wären aber nötig, um das Abkommen zu suspendieren.
Unfähiger Vermittler
Angesichts der Tatsache, dass Borrell mit den Palästinensern gern allzu nachsichtig umspringt und einen sehr »spanischen Blick« auf die Lage im Nahen Osten hat, wäre ein solcher Schritt auch töricht und falsch. Die EU würde so endgültig zur Konfliktpartei auf Seiten der Palästinenser, deren Autonomiebehörde sie jedes Jahr mit dreistelligen Millionenbeträgen alimentiert. So könnte die EU sich die von Borrell so sehnlich herbei gewünschte Vermittlerrolle im Nahostkonflikt endgültig abschminken.
Wie schlecht der scheidende EU-Außenbeauftragte als Vermittler agierte, hat er in der Iran-Politik unter Beweis gestellt. Borrell erwies sich als unfähig, eine klare Position der Europäer gegen das Regime in Teheran herbeizuführen.
Gegen die auch von Deutschland geforderte Terrorlistung der Islamischen Revolutionsgarden äußerte er immer wieder juristische Bedenken und stand auch noch auf der Bremse, als 2022 die Nachricht von schlimmsten Menschenrechtsverletzungen im Iran die Runde machten. Bis auf ein paar weitgehend wirkungslose Sanktionen hat er nichts zustande gebracht. Stattdessen baute Borrell auf Dialog mit dem Mullah-Regime – zum Unwillen des gesamten Europäischen Parlaments.
Der Höhepunkt war die Geiselhaft eines schwedischen EU-Diplomaten im Iran, die zwei Jahre andauerte und die Borrell 18 Monate lang geheim hielt – sogar vor den meisten Außenministern.
Der Autor ist EU-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen und lebt in Brüssel.