Sind Sie empört oder überrascht? Ich nicht, zu viele stiegen auf wie er. Ein Kulturmanager der jungen Bundesrepublik war einst ein bedeutender Nazi, SA-Mitglied und Referent der Reichsfilmintendanz.
Persilschein Der erste Berlinale-Chef Alfred Bauer besaß neben seinem Faible für Filme eine weitere sehr nachkriegsdeutsche Kompetenz: Er log sich dank bestellter Persilscheine seinen Lebenslauf zusammen. Mit Erfolg. In der Ruinentristesse der Inselstadt geriet sein Festival zum Glamour-Event. Stars wie Shirley MacLaine, Jean Gabin oder Sophia Loren reisten an, und mit zahnoffensivem Lächeln begrüßte sie der Ex-Nazi Bauer.
Nach Bauer benannte die Berlinale einen Preis. Der wird jetzt ausgesetzt. Zu Recht, der Typ war erst Hitleranhänger und dann ein typischer Karrierist. Nur: Damit war er überhaupt nicht allein. Wem in Politik und Kultur jubelten die Deutschen damals zu? Kiesinger und Carstens, Gründgens und Rühmann und vielen tausend anderen NS-Prominenten.
Ja, es ist notwendig, die Berlinale-Geschichte aufzuarbeiten. Vor allem aber ist es wichtig, die Heuchelei und die Verdrängung der Nachkriegszeit zu erzählen. Einer der großen Geister, der Auschwitzüberlebende Joseph Wulf, hat das versucht. Er hat Täter und Mitläufer aus Politik und Kultur in vielen Büchern benannt, ist jedoch an der dumpfen Schlusstrichsehnsucht gescheitert.
Dokumentation »Du kannst dich bei den Deutschen totdokumentieren, es kann die demokratischste Regierung sein – und die Massenmörder gehen frei herum.« Wulf nahm sich 1974 das Leben. Bauer starb 1986 hochdekoriert. Er war kein Massenmörder, aber ein einflussreicher Nazi.
Fazit: Es geht nicht allein um das Dokumentieren von Bauers Schuld. Aufarbeiten müssen wir den Ungeist, der diese Schuld bis jetzt nicht wahrhaben wollte. Und unsere moralische Trägheit.
Die Autorin ist ARD-Kulturkorrespondentin.