Als am 21. August der erste Berlin-Monitor veröffentlicht wurde, der Antisemitismus zum Schwerpunkt hat, titelten mehrere Medien, Judenhass sei in Berlin nicht so schlimm wie anderswo in Deutschland. Ich höre schon die Kommentare an den Stammtischen und in den Sozialen Medien: »Juden sollen sich nicht so anstellen und endlich mal die Klappe halten mit dem Antisemitismus.«
Wir werden das aber nicht tun. Judenhass ist Alltagserfahrung. Antisemitismus ist ein Chamäleon – er wandelt sich. Vor 700 Jahren warf man Juden Kindestötungen vor. Heute heißt es »Kindermörder Israel!« und liefert den Vorwand, Menschen mit Kippa anzugreifen. Es ist keine Überraschung, dass beim israelbezogenen Antisemitismus viel höhere Zustimmungswerte festgestellt werden als bei den »klassischen« Formen.
Der Judenhasser von heute sagt eben, dass er Zionisten und Israel verabscheut.
28 Prozent der Berliner ohne Migrationshintergrund halten die Gründung Israels für eine schlechte Idee, 35 Prozent von ihnen meinen, dass Israel »wie Nazis« agiere. Diese Aussagen fanden bei bis zu 55 Prozent der Befragten ohne deutsche Staatsangehörigkeit deutlich mehr Zuspruch. Antisemitismus wird nicht mehr direkt, sondern über den Umweg Israel kommuniziert.
PARADIGMENWECHSEL Der Judenhasser von heute sagt eben, dass er Zionisten und Israel verabscheut. Dies ist eine der Lektionen, die der Antisemit aus Auschwitz gelernt hat: seine Ressentiments öffentlich zu kommunizieren, ohne sozial geächtet zu werden.
Es ist für die öffentliche Debatte und die Bekämpfung des Antisemitismus kontraproduktiv, wenn diese Resultate – wenn überhaupt – erst nachrangig erwähnt werden. Schon die Intensität, die die deutsche Öffentlichkeit bezüglich Israel an den Tag legt, ist irritierend. Die Maßstäbe, die an dieses Land angelegt werden, sind es noch mehr.
Die hohe Zustimmung für die Dämonisierung und Delegitimierung Israels muss einen Paradigmenwechsel in der Antisemitismusbekämpfung zur Folge haben. Ein essenzieller Baustein wären Reisen nach Israel für alle Schüler. Auch der Ausbau der Städtepartnerschaften mit Israel wäre hilfreich – Begegnungen auf allen Ebenen können einen entscheidenden Beitrag zur Reduzierung dieses Ressentiments leisten.
Der Autor ist Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.