»Was macht denn deine Regierung da unten?« Diese Frage wurde mir bereits in den 80er-Jahren gestellt. Mein Gegenüber hatte bemerkt, dass ich Jude und als solcher offenbar per se für die Handlungen der israelischen Regierung verantwortlich bin.
So, wie es mir erging, ist es wohl den meisten Juden dieses Landes schon ergangen. Der Bekannteste unter uns war Ignatz Bubis sel. A., der sich anhören musste: »Sie sind deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, Ihre Heimat ist Israel. Ist das richtig so?« Oder auch: »Ich meine Ihren Präsidenten, den Herrn Weizman.«
orientierung Heute meint die Publizistin Charlotte Wiedemann, Juden müssten »in Deutschland zur künftigen israelischen Regierung eine Haltung entwickeln, die auch anderen Orientierung gibt«. Mit Haltung meint sie offenbar Protest, denn sie verweist gleich auf einen entsprechenden Aufruf. Nun haben und werden Juden in Europa, den USA und in Israel stets selbst gegen oder für eine Regierung in Jerusalem demonstrieren.
Auch aktuell haben sich deutsche Juden zu dem, was in Israel passiert, bereits sehr kritisch geäußert. Ihnen allen ist aber gemein: Sie stehen zu Israel. Frau Wiedemann, die sowohl über Russland als auch über den Iran schreibt, hat meines Wissens nie dazu aufgefordert, gegen Wladimir Putin oder Ajatollah Chamenei zu protestieren. Aber wenn es um Israel geht, ist sie sofort zur Stelle und gibt Ratschläge, wie Juden mit dem Land umzugehen haben.
Ich habe den Eindruck, dass es manch einem schwerfällt, Juden als handelnde Subjekte zu akzeptieren, die selbstbewusst entscheiden und sich auch zu verteidigen wissen.
Nur: Auch Ratschläge sind Schläge, insbesondere dann, wenn sie öffentlich erteilt werden. Wiedemanns angebliche Besorgnis ist unglaubwürdig, ihre Ratschläge sind paternalistisch, übergriffig und anmaßend. Wir sind sehr wohl in der Lage, Entwicklungen in Israel zu beobachten, zu analysieren, zu bewerten und entsprechend zu kommentieren.
Ich habe den Eindruck, dass es manch einem schwerfällt, Juden als handelnde Subjekte zu akzeptieren, die selbstbewusst entscheiden und sich auch zu verteidigen wissen. Dies aber ist für eine Begegnung auf Augenhöhe erforderlich.
Der Autor ist Beauftragter gegen Antisemitismus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.