Was haben wir gesagt? Was haben wir nicht schon vor Monaten gesagt? Was haben wir erst vorsichtig leise, dann immer lauter gesagt? Dass Deborah Feldman über keinerlei Wissen zur jüdischen Erfahrung und Community in Deutschland verfügt. Dass es deshalb einen großen Schaden verursacht, weil sie medial ständig und überall für diese jüdische Community zu sprechen versucht, so als sei sie ein Teil davon.
Weil jemand, der in den Vereinigten Staaten aufgewachsen ist, also in der größten jüdischen Gemeinde in der Diaspora, und erst vor rund zehn Jahren nach Berlin gekommen ist, möglicherweise nicht die beste Repräsentantin für die deutsch-jüdische Community ist.
Die Gewalt und Wucht, mit der Deborah Feldman wie ein Tsunami durchs Internet fegt, ist ohnegleichen.
Seit über einer Woche müssen nun alle dabei zuschauen, was passiert, wenn jemand ohne notwendiges historisches Grundlagenwissen den Deutschen die in Deutschland lebenden Juden erklären will. Das Grundlagenwissen nämlich, zu dem gehört, dass von ursprünglich mehr als 500.000 deutschen Juden nach dem Nationalsozialismus nur noch etwa 30.000 übrig blieben: rund 25.000 in der Bundesrepublik und etwa 5000 in der DDR.
»Übrig gebliebene« Juden
Dass ein großer Teil dieser »übrig gebliebenen« Juden ursprünglich gar nicht aus Deutschland stammte, sondern hier landete, nachdem sie aus osteuropäischen Konzentrationslagern befreit und in Camps für Displaced Persons untergebracht wurden. Dass aufgrund dieser geringen Anzahl von Überlebenden des Holocaust gemischte Ehen zur Normalität wurden. Dass in der DDR die jüdische Identität der übergeordneten Sache zum Opfer fiel, nämlich dem Sozialismus.
Dass dann seit den frühen 90er-Jahren rund 200.000 Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen, die auch wegen derselben übergeordneten Sache Repressalien, Unterdrückung und Verfolgung erlebt hatten und ihr Jüdischsein nie frei leben durften. Dass diese Geschichte – die Geschichte der europäischen Juden – eine Geschichte des Bruchs ist. Jener Bruch, der erst das europäische Judentum auslöschte, dann in Osteuropa sowie der DDR die dort ansässigen Juden dazu zwang, ihr Jüdischsein zu verstecken.
Die Empathielosigkeit, mit der sie über Menschen urteilt, die ihr Leben lang schon diesen historischen Bruch in sich tragen, ist beängstigend.
Die Gewalt und Wucht, mit der Deborah Feldman wie ein Tsunami durchs Internet fegt, um Juden ihr Jüdischsein abzusprechen, sie zu diffamieren, Lügen über sie zu verbreiten und zu diskreditieren, ist ohnegleichen. Die Ignoranz, mit der sie aus ihrer privilegierten amerikanischen Erfahrung spricht, nämlich eine von 7,5 Millionen Jüdinnen und Juden zu sein, und dabei keinerlei Verständnis für den historischen Bruch aufbringen kann, der das europäische und insbesondere deutsche Judentum zutiefst prägt, ist erschütternd.
Jubel vonseiten der üblichen Verdächtigen
Die Empathielosigkeit, mit der sie über Menschen urteilt, die ihr Leben lang schon diesen historischen Bruch in sich tragen, ist beängstigend. Aber noch viel beängstigender ist, dass Deborah Feldmans ganz persönliche Halacha sich gar nicht wirklich an den jüdischen Gesetzen orientiert, sondern an ihrer politischen Ausrichtung und man ihr trotzdem – oder gerade deshalb – vonseiten der üblichen Verdächtigen zujubelt.
Deswegen ist es auch kein Zufall, dass sie selbst dem Hochstapler und Kostümjuden Fabian Wolff in einem »Spiegel«-Interview im vergangenen Sommer – trotz des Wissens um sein fehlendes Jüdischsein – seine Selbstdefinition von Jüdischsein zugestand. Schließlich teilen sie beide dieselbe antizionistische Haltung. Für Feldman gilt: Jude ist, wer Antizionist ist. Das allerdings hat nichts mit jüdischer Gesetzgebung zu tun, sondern einzig und allein mit ihrer persönlichen Agenda.
Die Autorin ist Schriftstellerin und Journalistin.