Der Antisemitismusvorwurf soll nicht missbraucht werden! Das hört man in letzter Zeit oft von jenen rechtsoffenen Politikern und Kommentatoren, die den Drehungen und Erklärungen der Querdenker-Bewegungen aller Länder noch nicht zur Genüge auf den antisemitischen Leim gegangen sind.
Nun kommt diese Forderung diesmal aber nicht aus einem Milieu, das sich aus Menschen zusammensetzt, die schon seit Jahren ihr Recht auf freie Meinungsäußerung mit ihrem vermeintlichen Recht auf Rassismus, Antisemitismus, Misogynie etc. verwechseln, sondern von prominenten Kulturschaffenden und großen Kulturinstitutionen wie dem Goethe-Institut.
Die Unterzeichner verkennen die kulturelle Dimension des Antisemitismus.
Anlass ist die Diskussion um den renommierten Historiker und Politikwissenschaftler Achille Mbembe und der Beschluss des Bundestags, der BDS-Bewegung öffentliche Fördergelder zu versagen, weil sie in Handlungen und Zielen ebenso israelfeindlich wie antisemitisch ist. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner lehnen den Boykott Israels durch BDS zwar ab. Gleichzeitig halten sie aber auch die Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat, für gefährlich.
Was mich an dieser Logik nervt, ist ihr Unvermögen, die kulturelle Dimension des Antisemitismus zu erkennen und ernstzunehmen, die den Antisemitismus letztlich so gefährlich macht. Sie berufen sich auf BDS, um ein kulturelles Phänomen politisch greifbar zu machen, dabei wäre es doch gerade die Aufgabe der Kulturschaffenden, über das Politische hinaus die Bilder und Worte zu erkennen, die den Antisemitismus im Namen von politischen Zielen des BDS transportieren.
KATEGORIEN Statt dem strukturellen Antisemitismus, der sich im Kontext ihrer eigens angeführten Beispiele Bahn bricht, einen Namen zu geben, führen sie das Recht auf die sogenannte Israelkritik als Indikator für Weltoffenheit ein. Nun ist dieses maßlose Unverhältnis der Kategorien im Kontext der globalen Konflikte ein Klassiker der antisemitischen Wahnvorstellungen.
Der Bundestag versagt BDS öffentliche Fördergelder, weil die Bewegung in Handlungen und Zielen ebenso israelfeindlich wie antisemitisch ist.
Und hier liegt genau das Problem. Der tatsächliche Antisemitismus interessiert nicht. Es geht nur um den politischen Umgang damit und wie »weltoffen« man sich selbst dazu verhalten kann. Kein BDS-Anhänger muss sich davor fürchten, dass er sich von den Unterzeichnern dieses Boykottaufrufs gegen den Boykott des Boykotts als nicht weltoffen bezeichnen lassen muss. Die Unterzeichner machen nicht die tatsächlichen Konsequenzen der Forderungen von BDS zur Kategorie, sondern ihren eigenen – durchaus nachvollziehbaren – Wunsch nach Weltoffenheit.
BEDINGUNGEN Es sind aber gerade Bewegungen wie BDS, die sich im Sinne ihrer Ziele bewusst umdefinieren, in alle Richtungen offen und apolitisch geben und damit die Eigenverantwortlichkeit als Bedingung für Weltoffenheit ignorieren.
Weltoffenheit demonstriert man auch nicht, indem man für Bewegungen eintritt, von denen man sich gleichzeitig distanzieren muss, weil ihre Ziele nicht gerade der eigenen Idee von Weltoffenheit entsprechen.
Es ist völlig egal, ob man nachvollziehen kann, woher die radikalen Ziele der jeweiligen Bewegung kommen. Das Verständnis für die Beweggründe zur Messlatte der eigenen politischen Positionierung zu machen, ist schlicht selbstgerecht.