Wer auf deutschen Straßen zur Auslöschung des Staates Israels aufruft, darf das straffrei tun. Staatsräson hin, »Nie wieder« her. So muss man jedenfalls das Verwaltungsgericht Frankfurt verstehen, das an der Parole »From the river to the sea – Palestine will be free« nichts auszusetzen hat. »Nicht einmal ansatzweise« sei ein Bezug zur Hamas und zu deren Auslöschungsplänen zu erkennen, urteilte das Gericht zugunsten einer »propalästinensischen« Kundgebung in Frankfurt vergangene Woche.
In deutschen Amtsstuben mag man das gelassen so sehen. Falls man sich irrt, ist Israel eben weg oder heißt dann halt »Palästina« und ist ein Land, das sich die Richter in der Schönfärberei der Veranstalter ausmalen: »Ein freies und friedliches« Land »für alle Menschen mit gleichen Rechten, egal welcher Religion oder Herkunft«. Ein Kuschelzoo mit Anfassen.
Man muss Augen und Ohren schon fest verschließen, um nicht zu verstehen, was Israelfeinde weltweit brüllen.
Außerdem gäbe es keine »konkreten Anhaltspunkte« dafür, dass der Aufruf »zwingend als Aufruf zur Gewalt und Terror gegen Israel zu verstehen« sei. Schon vor dem 7. Oktober wäre das für jeden des Lesens Kundigen ein Hohn gewesen, nach dem »Schwarzen Schabbat« ist es nur noch zynisch. Man muss Augen und Ohren schon fest verschließen, um nicht zu verstehen, was Israelfeinde weltweit brüllen.
Vermutlich wäre den hessischen Richtern selbst der Ruf »Tod allen Juden« noch nicht eindeutig genug, um einzuschreiten. Eine hitzige Parole, mehr nicht. Zwischen Rufen und Handeln ist ein großer Schritt. Das mag so sein. Aber wenn uns der 7. Oktober eine Lehre war, dann diese: Judenhasser meinen es ernst. In Zürich hat vor wenigen Wochen ein 15-Jähriger mit dem Ruf »Tod allen Juden« einen 50-jährigen orthodoxen Juden niedergestochen. Er meinte »Tod allen Juden« genauso, wie er es sagte, wie er es gelernt hat und wie es in der Charta der Hamas nachzulesen ist.
In einer Demokratie müssen wir zuweilen mehr aushalten als wir aushalten können. Aber die Konsequenz des Frankfurter Urteils ist eine verheerende Verschiebung von roten Linien. Die juristisch feinsinnige Verteidigung der Demonstrationsfreiheit adelt Judenhass als Meinungsfreiheit. Das steigert das Bedrohungsgefühl, und die Gelassenheit der anderen verstärkt die Einsamkeit für Juden in Deutschland.
Der Autor ist freier Journalist und lebt in Frankfurt.