Christoph Heubner

Auschwitz begann auch in Geroldshausen

Es ist gut, dass die Gemeindevertretung erkannt hat, dass sie im Fall Eduard Wirths handeln muss

von Christoph Heubner  18.03.2021 14:19 Uhr

Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, Christoph Heubner Foto: picture alliance / ZB

Es ist gut, dass die Gemeindevertretung erkannt hat, dass sie im Fall Eduard Wirths handeln muss

von Christoph Heubner  18.03.2021 14:19 Uhr

Geroldshausen ist aufgeschreckt: Die deutsche Vergangenheit, mit der doch schon so lange hätte »Schluss« sein sollen, bricht hervor. Und wieder einmal entlarven sich das große Schweigen und die Lügen der Nachkriegsjahre, auch in diesem unterfränkischen Dorf. Hier trägt die Vergangenheit den Namen von Eduard Wirths.

Die große Mehrzahl der SS-Täter aus den deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern hat nie einen Gerichtssaal von innen gesehen. Die allermeisten von ihnen kehrten nach Kriegsende ohne jedes Anzeichen von Schuldbewusstsein zu ihren Familien und Nachbarn zurück. Niemand fragte, wo sie gewesen waren, niemand sprach ihnen ihre Ehre ab: Auch sie gehörten dazu, so wie sie immer dazugehört hatten.

Dass der Namenszug Eduard Wirths vom Ehrenmal gelöscht wird, ist für die Überlebenden ein Zeichen der Empathie mit seinen Opfern – und auch eines der Selbstachtung der Dorfgemeinschaft.

Auch sie hatten für Deutschland gekämpft – gerade in Auschwitz oder Dachau war es doch angeblich um die Zukunft des deutschen Volkes und die der »arischen Rasse« gegangen. Sie gehörten dazu – so wie die Juden und die Sinti und Roma nicht dazugehört hatten. Und sie kehrten zurück – jene blieben fort.

Niemand fand es befremdlich, dass auf dem örtlichen Ehrenmal der gefallenen und vermissten deutschen Soldaten auch der Name Eduard Wirths eingemeißelt wurde, obwohl er, wie viele wussten, im September 1945 in einem britischen Internierungslager für Kriegsverbrecher an den Folgen eines Suizidversuchs gestorben war. In Auschwitz hatte er viele Male an der Rampe gestanden, die Selektionen befehligt und war als KZ-Standortarzt der Vorgesetzte Josef Mengeles und der anderen Lagerärzte.

FRAGEN Nein, niemand fragte danach, wohin Eduard Wirths, der bis zum Schluss entlang der Front von einem Lager zum anderen gewechselt war, um seine antisemitische und rassistische Weltsicht in die Tat umzusetzen, nach seinem freiwilligen Eintritt in die SS aufgebrochen und wo er während des Krieges gewesen war. Ebensowenig fragte man nach, wo die jüdischen Bewohner von Geroldshausen und die Sintiza Paula Spindler und ihre dreijährige Tochter geblieben waren.

Es ist gut, dass diese Fragen jetzt Geroldshausen noch einmal erreichen. Und es ist gut, dass die Gemeindevertretung erkannt hat, dass sie handeln muss und sich nicht hinter der vielfach gehörten Floskel »Jetzt muss doch endlich mal Schluss sein« versteckt.

Dass der Namenszug Eduard Wirths vom Ehrenmal gelöscht wird, ist für die Überlebenden nicht nur ein Zeichen der Empathie mit seinen Opfern, sondern eines der Selbstachtung der Dorfgemeinschaft und der Erkenntnis, dass Auschwitz auch in Geroldshausen begonnen hat.

Der Autor ist Schriftsteller und Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Meinung

Tiefpunkt für die Pressefreiheit

An der besetzten Alice Salomon Hochschule versuchte die Rektorin zusammen mit israelfeindlichen Aktivisten, die journalistische Berichterstattung zu verhindern

von Jörg Reichel  10.01.2025

Meinung

Hitler ein Linker? Der »Vogelschiss«-Moment der Alice Weidel

Mir ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  10.01.2025

Meinung

Wo Extremisten keine Gegenwehr fürchten müssen

In Berlin wurde die Alice Salomon Hochschule von Hamas-Sympathisanten besetzt. Erneut setzen weder die Studierendenschaft noch das Präsidium der Terrorverherrlichung etwas entgegen

von Noam Petri  08.01.2025

Meinung

Der Neofaschist Herbert Kickl ist eine Gefahr für Österreich

In der FPÖ jagt ein antisemitischer »Einzelfall« den anderen, ihr Obmann will die liberale Demokratie abschaffen und könnte schon bald Kanzler sein

von Bini Guttmann  08.01.2025

Sebastian Leber

Treitschke ist nicht »umstritten«

Die CDU in Berlin-Steglitz weigert sich, den eindeutigen Antisemitismus des Historikers anzuerkennen – und macht sich damit im Streit um einen Straßennamen unglaubwürdig

von Sebastian Leber  07.01.2025

Volker Beck

Christoph Heusgen: Ein außenpolitischer Bruchpilot

Die Kritik des Spitzendiplomaten an Israel ist niederträchtig – und seine eigene politische Bilanz verheerend

von Volker Beck  02.01.2025

Mascha Malburg

Wer jüdisches Leben wirklich schützt

Manche jüdische Einrichtungen setzen neben dem Polizeischutz auf eigenes Sicherheitspersonal – und das ist auch gut so

von Mascha Malburg  02.01.2025

Sabine Brandes

Frieden einfordern

Unsere Israel-Korrespondentin Sabine Brandes ist davon überzeugt, dass ein Naher Osten ohne Blutvergießen kein Traum bleiben muss

von Sabine Brandes  01.01.2025

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  28.12.2024 Aktualisiert