Dicht gedrängt stehen die Menschen unter den Arkaden des Alten Rathauses Leipzig. Viele sind zufällig vorbeigekommen, angezogen vom virtuosen Xylofonspiel Alex Jacobowitzʼ.
Mitten auf der Haupteinkaufsstraße singt Rabbiner Zsolt Balla und begleitet sich selbst auf der Gitarre. Karolina Trybala animiert mit ihren mittel- und osteuropäischen Liedern das Publikum zum Tanzen, und »Die Damen und Herren Daffke« laden mit Chansons der 1920er-Jahre zum Mitsingen ein. Zwei Teenager schlendern vorbei: »So lange hast du noch nie klassischer Musik zugehört.«
veranstaltungen Es ist Jüdische Woche in Leipzig. Mehr als 10.000 Menschen besuchten bis zum 2. Juli die mehr als 100 Veranstaltungen. Dazwischen stehe ich mit unserem bunten Verlagsstand. Ganz selbstverständlich kaufen die Leute Haggadot und Einführungen ins Judentum, fragen nach Hebräisch-Kursen oder unserem Umzug ins Capa-Haus, einem historischen Ort der Befreiung vom Nationalsozialismus, aber auch des jüdischen Widerstands der Kriegsfotografen Robert Capa und Gerda Taro. Als sei es das Normalste der Welt. Mitten in Leipzig, mitten in Sachsen.
Wir sind gekommen, um zu bleiben. Wir gehören dazu.
Ist es Naivität oder gar Ignoranz gegenüber der Lebenswirklichkeit von Jüdinnen und Juden in Deutschland, gegenüber dem wiedererstarkten Antisemitismus und dem Umfragehoch der AfD?
stadtgesellschaft Es ist nicht die Aufgabe jüdischer Kultur, gegen Antisemitismus aufzuklären. Das wäre beinahe zynisch. Aber hier, unausweichlich zwischen Bushaltestelle, Tchibo und Zara, beansprucht jüdisches Leben selbstbewusst, nah- und sichtbar seinen Platz im Herzen der Stadtgesellschaft. Wir sind gekommen, um zu bleiben. Wir gehören dazu.
Am Abend eröffnet in der Alten Börse ein Symposium mit Vertretern der Leipziger Partnerstädte Brno, Krakow und Kyiv. Aus den geöffneten Fenstern ertönt Samuel Lampels Segen: »Es segne dich der Herr und behüte dich«, gesungen vom Leipziger Synagogalchor. Als sei es nie anders gewesen. Auch das ist Sachsen – was für ein Glück.
Die Autorin ist Inhaberin des Hentrich & Hentrich Verlags in Leipzig.