Rabbiner Raphael Evers

Armut und Corona: Mehr Mitgefühl!

Rabbiner Raphael Evers Foto: Simon Vilk

Wir hören es immer häufiger: Menschen können mit ihrem Einkommen nicht mehr über die Runden kommen. Die Hilfe des Wohlfahrtsstaates ist unzureichend. Diese Vermutung legt jedenfalls die jüngste Armutsstatistik des Statistischen Bundesamts nahe.

Die einzige Lösung ist laut Judentum die freiwillige private Initiative. Die Corona-Krise hat viele Menschen schwer getroffen, insbesondere viele Alleinerziehende. Aber auch 15,4 Prozent der älteren Menschen (65+) haben trotz zusätzlicher bezahlter Arbeit die Armutsrisikoschwelle unterschritten.

Doppelt betroffen sind Kinder aus armen Familien.

Wenn Deutschland schneller mit der Impfung begonnen hätte, wäre das Ende des Tunnels wahrscheinlich schon lange in Sicht gewesen. Dies war aber leider nicht der Fall.

INTERNETZUGANG Doppelt betroffen sind Kinder aus armen Familien. Sie können oft nicht zur Schule gehen – aber Bildung über digitale Lernplattformen ist auch schwierig, wenn man schlicht keinen Computer oder Internetzugang hat. Wie werden diese Kinder all das Material aufholen? Die Schwelle, digitale Lernplattformen zu nutzen, ist für viele bereits sehr hoch. Oft fehlen die Internetverbindungen – und insbesondere die sozialen Kontakte und Schulungen, um damit umzugehen.

Unsere Gesellschaft wird zum Waisenhaus: Man wird versorgt, aber mit einem krassen Mangel an persönlicher Aufmerksamkeit und einem Übermaß an Nachlässigkeit. Regeln sind gesetzlich formuliert, werden aber ohne liebevolle, individuelle Betreuung umgesetzt.

Eine ausgewogene Lösung liegt im Hauptbeitrag der für unsere Zeit idealen jüdischen Prinzipien »Zedaka«, Wohltätigkeit, und »Chessed«, Mitgefühl.

Wie kann man die Kluft zwischen formeller sozialer Betreuung und dem Bedarf an informeller Unterstützung überbrücken? Glücklicherweise sehen wir viele Solidaritätsaktionen. Viele Freiwillige haben sich gemeldet.

Eine ausgewogene Lösung liegt im Hauptbeitrag der für unsere Zeit idealen jüdischen Prinzipien »Zedaka«, Wohltätigkeit, und »Chessed«, Mitgefühl: liebevolle Betreuung, Fürsorge, persönliche Aufmerksamkeit, möglichst direkte Reaktion auf akute Bedürfnisse, erhebende Unterstützung für Angehörige und extreme Sorgfalt und Rücksichtnahme im Umgang mit den weniger Glücklichen. Das könnte beispielgebend sein: Nicht nur impfen, sondern auch die freiwillige familiäre Betreuung anregen!

Der Autor ist Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

Kommentar

Shiri, mein Herz bricht für dich

Sarah Cohen-Fantl will nicht verzeihen, dass Shiri, Kfir und Ariel Bibas nicht gerettet wurden

von Sarah Cohen-Fantl  21.02.2025

Katrin Richter

Demokratie statt Lethargie

Wer nicht wählt, muss mit dem leben, was dann dabei herauskommt

von Katrin Richter  21.02.2025

Igor Mitchnik

Europa muss sich hinter die Ukraine stellen

Trump denkt nicht transatlantisch, sondern transaktional

von Igor Mitchnik  20.02.2025

Meinung

Kennen Sie Abed Hassan?

Vieles, was der Berliner sagt, ist bedenklich nah dran an Hamas-Propaganda.

von Susanne Stephan  19.02.2025

Glosse

Ein Hoch auf die Israelkritik

Der »Spiegel« hat mit dem indischen Essayisten Pankaj Mishra ein »erhellendes« Interview zum Nahostkonflikt geführt

von Michael Thaidigsmann  18.02.2025

Meinung

Wie das Ende eines Alptraums, der fünf Jahre gedauert hätte

Alon Ishay ist erleichtert, dass die Koalitionsgespräche der FPÖ vorerst gescheitert sind

von Alon Ishay  17.02.2025

Meinung

Was »Sensibilität« bei der Berlinale bedeutet

Das Film-Festival hat eigens FAQ zum Nahostkonflikt veröffentlicht und distanziert sich darin gleich von der Antisemitismus-Resolution des Bundestages

von Maria Ossowski  20.02.2025 Aktualisiert

Einspruch!

Holt sie aus der Hölle raus

Sabine Brandes fordert, alles dafür zu tun, um auch die letzten verbliebenen Geiseln zu retten

von Sabine Brandes  13.02.2025

Meinung

Kanye West und der grassierende Antisemitismus in den USA

Die neuesten judenfeindlichen Eskapaden des Rapstars sind symptomatisch für eine bedrohliche Diskursverschiebung, die von Donald Trump und Elon Musk befeuert wird

von Ruben Gerczikow  10.02.2025