Da der Begriff Beschwichtigung, auf Englisch Appeasement, mittlerweile in Ungnade gefallen ist, ruft man heutzutage lieber nach »Deeskalation«, was aber nichts anderes ist. Um den Nahostkonflikt zu befrieden, braucht es nach Ansicht vieler Experten hierzulande eine Deeskalation, eine »sofortige« am besten.
Besonders laut werden diese Rufe, wann immer Israel sich mit militärischen Mitteln gegen Angriffe und konkrete Bedrohungen zur Wehr setzt und dabei auch noch erfolgreich ist.
Wenn die Hisbollah oder die Hamas geschwächt sind, kommt dann die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand, einem »sofortigen« und »dauerhaften«, versteht sich. Sobald die eingekehrt ist, geht zwar die Aufrüstung der Terrororganisationen von vorne los, allen Aktivitäten von UNIFIL und UNRWA zum Trotz. Aber Hauptsache, es herrscht wieder Ruhe.
An dieser Stelle könnte man einmal die hypothetische Frage stellen, wie alles ausgegangen wäre, hätte man in Großbritannien auch 1940 ff. weiter auf Appeasement, pardon, auf Deeskalation gesetzt, hätte man die kurzfristige Sorge um die eigene, vom »Blitz« der Deutschen schwer getroffene Bevölkerung Londons der langfristigen Sorge um das Überleben des eigenen Staates untergeordnet.
Vielleicht wäre so der Tod vieler Menschen im Zweiten Weltkrieg vermieden worden. Die Bombardierung Dresdens zum Beispiel. Aber um welchen Preis? Wahrscheinlich um den Preis, dass ganz Europa von Nazis und Faschisten regiert worden wäre. Womöglich bis heute.
Polen wäre ein deutscher Vasallenstaat geworden. Wahrscheinlich würde man den Polen sagen, dass sie ja sowieso schon immer zu Preußen gehört hätten und sich bitte nicht so anstellen mögen. Charles de Gaulle in seinem englischen Exil hätte sich wahrscheinlich mit dem Vichy-Regime abfinden müssen. Und Hitler-Deutschland hätte keinen Zweifrontenkrieg mehr führen müssen, sondern die reelle Chance gehabt, auch die Sowjetunion zu besiegen und zu unterwerfen. Und Juden gäbe es natürlich keine mehr in Europa.
Hätte sich 1940 die Deeskalatoren durchgesetzt, gäbe es heute keine Europäische Union, keine Vereinten Nationen, keine NATO. Es gäbe stattdessen etwas ganz anderes, etwas Unvorstellbares. Vielleicht gäbe es heute noch Konzentrationslager für Homosexuelle, für Andersdenkende.
Dass wir ein solches Horrorszenario nicht erleben mussten, hat auch damit zu tun, dass sich Großbritannien unter Churchill und die USA unter Roosevelt nicht der Politik der Beschwichtigung eines brutalen Diktators hingaben, sondern diese existenzielle Bedrohung mit aller Kraft bekämpften.
Nun ist der Nahostkonflikt nicht mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar. Außer in einem Punkt: Wieder einmal versuchen sich Antisemiten an der Auslöschung des jüdischen Volkes. Es geht um die Vernichtung des Staates Israel. Doch wie reagiert die Welt? Mit einem Appell zur Deeskalation, einem Appell an die Opfer, jetzt doch bitte nicht zurückzuschlagen, doch nicht die Stabilität des Libanon zu gefährden ...
Hitler hat damals nicht gewonnen, aber Millionen unschuldiger Menschen kamen im Zweiten Weltkrieg ums Leben, auch durch Angriffe der Alliierten.
Auch die Terrorgruppe ISIS und ihr islamistisches Kalifat wurden vor zehn Jahren besiegt. Eine große Kraftanstrengung, die ebenfalls viele Opfer unter der Zivilbevölkerung forderte. Doch niemand sah eine Alternative zu diesem Krieg.
Bei der existenziellen Bedrohung gegen Israel hingegen ruft alle Welt nur »Deeskalation«. Hamas und Hisbollah können schalten und walten, die Vereinten Nationen warnen lieber vor einem Flächenbrand.
Israel wird aktuell von der Welt im Stich gelassen. Nur wenn es sich wehrt, wachen einige auf und verlangen das Ende aller Kampfhandlungen. Man will seine Ruhe haben, aber keine Lehren aus der Geschichte ziehen.