Meinung

Antisemitismus-Resolution: Und jetzt?

Daniela Ludwig (CSU, l.) und Marlene Schönberger (Grüne) sind ihrer jeweiligen Fraktion die Beauftragte für Antisemitismus. Foto: Daniel Biskup/ Elias Keilhauer

Nach monatelangen Verhandlungen und einer teils erbittert geführten öffentlichen Debatte wurde sie vergangenen Donnerstag verabschiedet: Die Resolution »Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken« ist im Deutschen Bundestag von einer Mehrheit der Abgeordneten angenommen worden.

Den rechtlich nicht verbindlichen Antrag hatten die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP eingebracht. Sie appellieren an Bund, Länder und Kommunen, strengere Maßnahmen gegen Judenhass zu ergreifen und Regeln aufzustellen, die künftig eine staatliche Förderung für antisemitische Projekte ausschließen sollen.

Doch um die genaue Bedeutung der Resolution wird noch gerungen, und die Kritik an ihr reißt nicht ab. Die beiden Bundestagsabgeordneten Daniela Ludwig (CSU) und Marlene Schönberger (Grüne) verteidigen den gemeinsamen Beschluss: Er sei ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wie kann er mit Leben gefüllt werden? In der Jüdischen Allgemeinen unterbreiten die beiden Politikerinnen ihren je eigenen Vorschlag.

Handlungsfähig und wehrhaft sein

von Daniela Ludwig

Die Antisemitismus-Resolution, die wir in der vergangenen Woche im Deutschen Bundestag beraten haben, ist ein wichtiger Anfang, eine Basis, zu der wir uns als wehrhafte Demokraten bekennen. Aber Papier ist geduldig, Worte allein verhindern keine Gewalttaten, und sie schützen nur begrenzt vor Extremisten. »Nie wieder« darf nicht nur ein gut gemeintes Schulterklopfen sein, das zwar meint, was es sagt, aber nicht umsetzt, was es verspricht.

Wir müssen uns eingestehen, dass Antisemitismus unter uns ist, inzwischen nicht mehr länger im Verborgenen, sondern öffentlich und gewaltbereit auf europäischen Straßen wie beispielsweise in Amsterdam, Leipzig oder Berlin. Das ist ungeheuerlich und erschütternd, aber dieses Eingeständnis darf Demokratie nicht in eine Schockstarre der Verunsicherung verfallen lassen. Der Erkenntnis müssen jetzt Aufarbeitung und Lösungen folgen.

Antisemitisches Denken darf nicht durch das zweifelsfrei hohe Gut der Meinungsfreiheit geschützt oder gar aus ihr abgeleitet werden. Das gilt auch und im Besonderen in Kultur, Kunst und Wissenschaft. Projekte, die antisemitische Inhalte verfolgen, haben kein Anrecht auf Förderung. Dafür bedarf es rechtssicherer haushälterischer Regelungen und zwar schnell. Die Kulturszene ist kein rechtsfreier Raum, in dem Grundrechte wie die Meinungsfreiheit grenzenlos gelten. Entgleisungen wie bei der »documenta fifteen« oder der Berlinale dürfen sich keinesfalls wiederholen.

Antisemitische Vergehen sind keine Kavaliersdelikte, sondern Straftaten, denen mit aller Konsequenz entgegengetreten werden muss.

Die IHRA-Definition ist bei der Beurteilung ein wichtiger Kompass. Zu behaupten, damit würde Kritik am israelischen Staat oder dem israelischen Regierungshandeln zensiert, ist eine bösartige Unterstellung, die jeglicher Grundlage entbehrt und vielmehr gezielt Unwahrheiten und Fehlinformationen Vorschub leistet.

Zulässige Kritik hört da auf, wo Antisemitismus und Judenhass beginnen. Antisemitische Vergehen sind keine Kavaliersdelikte, sondern Straftaten, denen mit aller Konsequenz entgegengetreten werden muss und denen spürbare Konsequenzen folgen müssen. Bestehende Gesetzeslücken gilt es zu schließen, und etwaige Graubereiche müssen unmissverständlich definiert werden.

Hochschulen sind Orte, in denen Mitarbeiter und Studenten sicher und geschützt lehren und lernen können. Es ist unerträglich, dass das seit dem 7. Oktober 2023 nicht mehr gewährleistet werden kann. Hier besteht Handlungsbedarf, unter anderem muss das Hausrecht durchgesetzt werden. Damit dürfen die Bildungseinrichtungen aber nicht sich selbst überlassen werden. Wir müssen an ihrer Seite stehen.  Bildung und Erinnerungskultur sind die wohl wirksamsten Präventivmaßnahmen, um einen respektvollen Umgang miteinander zu schaffen und aufkeimenden Antisemitismus im Keim zu ersticken.

Wir müssen aufmerksam, handlungsfähig und wehrhaft sein. Ich begreife »Wehret den Anfängen« tatsächlich als Verpflichtung, und das nicht nur als Politikerin und Demokratin, sondern vielmehr auch als Mensch und Frau mit geradliniger Haltung und einem stabilen Wertegerüst. Mein persönliches Versprechen an alle Jüdinnen und Juden: Ich werde das, was mir möglich ist, tun, damit sich Geschichte nicht wiederholt!

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete und Beauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für jüdisches Leben in Deutschland und für die Beziehungen zum Staat Israel.

***

Gleichzeitigkeiten aushalten

von Marlene Schönberger

Es ist ein Jahr her, seitdem wir die Arbeit an dieser Resolution begonnen haben. In diesem einen Jahr haben wir einen intensiven Prozess durchlaufen, an dem sich viele Fachpolitiker*innen, aber auch die Öffentlichkeit intensiv beteiligt haben. Das Ergebnis ist keine einseitige Musterlösung, sondern der große Kompromiss. Der Kompromiss, der ein dringend notwendiges Zeichen setzt: Die demokratische Mitte des Deutschen Bundestags steht fest an der Seite von Jüdinnen*Juden. Ich kann verstehen, dass es Formulierungen gibt, die manchen Abgeordneten Bauchschmerzen bereiten. Es ist jetzt unsere Aufgabe zu erklären, was diese Resolution wirklich bedeutet.

Die Debatten sind durch die Komplexität der gegenwärtigen Situation schwierig und aufgeheizt. Es gilt Gleichzeitigkeit auszuhalten: nämlich, dass wir uns mit der angegriffenen israelischen Zivilgesellschaft solidarisieren, die von den blutigen Massakern und einem verstörenden Ausmaß systematischer sexualisierter Gewalt der Hamas betroffen ist; dass wir uns mit der palästinensischen Zivilgesellschaft solidarisieren, die unfassbares Leid durch den Krieg erlebt und viel zu viele Tote zu beklagen hat; dass wir wissen, dass Israel das Recht hatte, auf die Massaker zu reagieren, und den Beschuss und die Bedrohung durch Hisbollah, Hamas, Huthis, den Iran und weitere seiner Proxys im Irak und Syrien nicht hinnehmen kann.

Zu dieser Gleichzeitigkeit gehört ebenso, dass das alles massive Auswirkungen auf das Leben von Jüdinnen*Juden in Deutschland hatte, dass der Antisemitismus in den letzten Monaten noch offener und gewaltvoller geworden ist.

Zu oft mangelt es an Courage, Sensibilität und Wissen – dagegen wollen wir mit konsequenter Bildungsarbeit vorgehen.

Wir sprechen hier nicht über Verwaltungsvorgänge, wir sprechen über Menschenleben. Das Thema ist hochemotional. Es ist allerdings nicht sinnvoll, Debatten miteinander zu vermischen. Denn wenn wir über Antisemitismus in Deutschland reden, dann ist das auch eine Folge des arabisch-israelischen Konfliktes, aber nicht der Konflikt selbst. Wenn wir über Antisemitismus in Deutschland reden, dann müssen wir darüber sprechen, wie wir diesen am besten bekämpfen können.

Die Fixierung mancher auf Asyl- und Migrationspolitik aber ist der falsche Weg. Richtigerweise betont die Resolution, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist. Die ebenso im Antrag geforderte Stärkung der historisch-politischen Bildungsarbeit ist daher unser schärfstes Schwert. Nach wie vor mangelt es bei der strafrechtlichen Verfolgung antisemitischer Vorfälle viel zu oft am Basiswissen bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Schärfere Gesetze bringen uns nur wenig, wenn Gesetze aufgrund von Wissenslücken oft nicht umgesetzt werden. Die meisten antisemitischen Vorfälle finden ohnehin in einem Bereich statt, der nicht strafrechtlich relevant ist.

Wir müssen die Nicht-Betroffenen motivieren, ihre Stimme gegen antisemitische Agitation zu erheben. Zu oft mangelt es an Courage, Sensibilität und Wissen – dagegen wollen wir mit konsequenter Bildungsarbeit vorgehen. Ich bin davon überzeugt, dass der Kampf gegen den Antisemitismus jetzt das Demokratiefördergesetz braucht – wie auch vom Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, gefordert.

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Wir stehen gerade erst am Anfang. Die Implementierung staatlicher Maßnahmen im Kampf gegen Antisemitismus ist ein junges Phänomen. Diese Resolution ist ein nötiges Zeichen, aber selbstverständlich nichts, um sich darauf auszuruhen. Jetzt gilt es zu handeln. Dafür werde ich gemeinsam mit vielen meiner Kolleg*innen kämpfen.

Die Autorin ist Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen und in ihrer Fraktion zuständig für Antisemitismusbekämpfung und die Förderung jüdischen Lebens.

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