Dass ausgerechnet die Horte des Wissens zu Zentren des Hasses auf Israel und auf die Juden per se werden, ist gelinde gesagt aberwitzig. Aber wenn der Nahost-Konflikt in Universitätsveranstaltungen ohne jeden Bezug zum Thema zum Politikum wird, wenn die unbedingte Verurteilung Israels für gute Benotung sorgt, wenn jüdische Studierende angepöbelt und angegriffen werden, ja sich vor einem hasserfüllten Mob verstecken müssen, und das auf dem Campus der sogenannten Ivy-League-Universitäten, den renommiertesten (und teuersten) Universitäten der USA, dann ist in aller Grundsätzlichkeit der Gesellschaftsvertrag des toleranten Miteinanders in einer Lehranstalt abgeschafft.
Und wenn dann auch noch die Universitätspräsidentinnen auf tragischste Weise nicht in der Lage sind, zu benennen, was gerade passiert, wenn die Frage, ob es gegen die Verhaltensregeln der Universität verstoße, wenn der Genozid an Juden gefordert wird, mit »Es kommt auf den Kontext an« beantwortet wird, dann ist das gesamte System in Gefahr. Schließlich werden hier die Eliten der Zukunft ausgebildet.
Auch wenn es im Augenblick so aussieht, als wären die Universitäten verloren, einen Versuch ist es wert.
Wären die gefallenen Präsidentinnen der Elite-Universitäten Amerikas Hollywood-Stars, man würde sie nach ihren menschenverachtenden Verbal-Aussetzern in eine Rehab schicken. Allein schon, um die empörte Öffentlichkeit zu besänftigen. Aber warum eigentlich nicht. Auch wenn es im Augenblick so aussieht, als wären die Universitäten verloren, einen Versuch ist es wert. Also, nach Alkohol-, Drogen- und Sexsucht-Entzug ist es so weit: Willkommen in der Antisemitismus-Rehab für Akademiker.
Ressentiments an der Rezeption abgeben
Dort geben die Patienten gleich beim Einchecken an der Rezeption ihre Ressentiments ab, die Dozierende wie Studierende so offen vor sich hertragen, was Repräsentanten der Tempel des Wissens und der Rationalität eigentlich qua Amt besser wissen müssten. Denn, Universität kommt vom lateinischen »universitas«, was Gesamtheit heißt oder auch Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden. Ja, auch Juden, meine Damen und Herren. Das sind die, die auf dem Campus gerade Angst haben, Kippa zu tragen oder Hebräisch zu sprechen.
Weiter geht es in den Lesesaal. Dort bekommt jeder einen Einzeltisch und eine Ausgabe von Der Verrat der Intellektuellen, dem Bestseller aus dem Jahr 1927. Kennen Sie nicht? Darin hat der französische Starautor Julien Benda der Geisteselite seiner Zeit vorgeworfen, sich, anstatt politisch neutral und unparteiisch mit den Mitteln der Vernunft nach Wahrheit zu streben, zu Karrierezwecken in den von Leidenschaften getriebenen politischen Kampf zu werfen – um es arg verknappt auszudrücken. Und dabei hat sie das Wesentliche aus dem Blick verloren: die Menschlichkeit. Wir wissen, wo das enden kann. Der jüdische Kaufmannssohn Benda würde staunen, dass die Karrieristen knapp ein Jahrhundert später aus der entgegengesetzten Ecke kommen.
Aus der geht es nun direkt in den Schreibsaal, wo die Patienten 100-mal »Wenn es um Menschenleben geht, kommt es nicht auf den Kontext an« an die Tafel schreiben müssen. Nach dezentem Applaus wird ein Statement verlesen, in bester Hollywood-Manier: »Der Gedanke, dass etwas, das ich gesagt habe, diesen Schmerz verursacht hat, ist wirklich schwierig für mich. Das macht mich traurig.«
Dann dürfen sie gehen. Bis zum nächsten Rückfall.