Joshua Schultheis

Antisemitismus in den Sozialwissenschaften

Bei Juden- und Israelhass an der Universität liegen Problem und Lösung nah beieinander

von Joshua Schultheis  02.03.2022 15:09 Uhr

Joshua Schultheis Foto: Charlotte Bolwin

Bei Juden- und Israelhass an der Universität liegen Problem und Lösung nah beieinander

von Joshua Schultheis  02.03.2022 15:09 Uhr

Wieder gab es an einem sozialwissenschaftlichen Institut in Berlin einen Antisemitismus-Skandal. Erst 2017 schlug der Fall einer Politologin der Freien Universität (FU) Wellen, die auf ihrem Blog und in weiteren Publikationen mit antisemitischen Verschwörungsnarrativen auffiel.

Dieses Mal hat eine Dozentin der Humboldt-Universität (HU) in mehreren Tweets israelbezogenen Antisemitismus verbreitet. Empörte Studenten wandten sich an Uni-Verantwortliche, aber erst nachdem die Presse darüber berichtet hatte, beendete die HU den Lehrauftrag der Wissenschaftlerin.

AKTIVISMUS Auch wenn die Universität am Ende die richtige Konsequenz gezogen hat, bleibt die Frage, ob die Sozialwissenschaften in Berlin und in Deutschland ein mehr als nur individuelles Problem mit Antisemitismus in den eigenen Reihen haben.

Dass das so ist, liegt zunächst auf der Hand: Studenten der Politik und Soziologie sind ohne Frage weit überdurchschnittlich oft politisch engagiert, und da sich aus dieser Gruppe irgendwann auch die Promovenden und Professoren in den Sozialwissenschaften rekrutieren, sind die Bande zum politischen Aktivismus in dieser wissenschaftlichen Disziplin besonders stark. Grundsätzlich ist daran auch nichts falsch, können doch solche Erfahrungen durchaus die spätere Arbeit in der Forschung bereichern.

Inakzeptabel wird es aber dann, wenn Wissenschaftler nicht in der Lage sind, sich von diskriminierenden Ansichten, die auch im Aktivismus des linken Spektrums verbreitet sind, zu distanzieren. So herrscht zum Beispiel in großen Teilen der anti-imperialistischen Linken die Ansicht, dass Israel die Speerspitze des westlichen Imperialismus und damit die Verkörperung alles Bösen ist.

brückenschlag In dieser Vorstellung ist der Brückenschlag zum Antisemitismus – die Juden sind an allem schuld – schon fast automatisch angelegt. Dozenten, denen eine solche Verblendung nicht ganz und gar fernliegt, haben in der universitären Wissenschaft und Lehre nichts zu suchen. Immer wieder zeigt sich leider, dass das nicht allen sozialwissenschaftlichen Instituten selbstverständlich ist. Oft wird sich schwer damit getan, Antisemitismus zu benennen und zu sanktionieren.

Was nottut, sind mehr Forschungsgelder und mehr Lehrstühle, die sich der Erforschung von Antisemitismus widmen.

Bevor aber der Stab über einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin gebrochen wird, muss darauf hingewiesen werden, dass die Aufklärung der genannten Antisemitismus-Fälle wiederum auf wachsame – jüdische wie nichtjüdische – Studenten ebendieses Faches zurückzuführen ist.

Gerade an sozialwissenschaftlichen Instituten mag insbesondere israelbezogener Antisemitismus weit verbreitet sein, fast nirgendwo sonst gibt es aber auch mehr Expertise in diesem Feld. In der Regel sind es – sich meistens dezidiert als links verstehende – Studenten, die antisemitische Vorfälle an der Universität dokumentieren, öffentlich machen und Druck auf Entscheidungsträger ausüben. Problem und Lösung liegen in diesem Fall also nah beieinander.

betreuer Diese Studenten sollte man auch zuallererst um ihre Meinung fragen, wie man dem Antisemitismus an ihren Instituten am besten begegnen könnte. Wer das tut, wird von ihnen zum Beispiel hören, dass es in ihrem Fachbereich zu wenige Möglichkeiten gibt, zum Thema Antisemitismus Haus- und Abschlussarbeiten zu schreiben. Es fehlen schlicht potenzielle Betreuer, die sich in der Materie auskennen.

Was nottut, sind daher mehr Forschungsgelder und mehr Lehrstühle, die sich der Erforschung von Antisemitismus widmen. Das wäre die beste Unterstützung für all die Studenten in den Sozialwissenschaften, die viel Mühe auf sich nehmen und auch Konflikte nicht scheuen, um Judenhass – egal in welcher Form – an ihrer Uni entgegenzutreten.

schultheis@juedische-allgemeine.de

Meinung

Der AfD-Claqueur

Elon Musk hat sich als Unterstützer der AfD geoutet. Das sollte seinen Anhängern in Deutschland eine Warnung sein

von Michael Thaidigsmann  20.12.2024

Meinung

Der PEN Berlin und die Feinde Israels

In der Schriftstellervereinigung konnte eine Resolution BDS-naher Autoren gerade noch abgewendet werden. Alles gut also? Nicht wirklich

von Lorenz S. Beckhardt  20.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024

Meinung

Glühwein und Judenhass

Nach einem »Antikolonialen Friedensweihnachtsmarkt« in den Räumen einer Darmstädter Kirchengemeinde sollten die Bischöfe Klartext reden

von Tobias Kühn  18.12.2024

Meinung

Gaza und die Opferzahlen der Hamas

Die palästinensische Terrororganisation instrumentalisiert die Anzahl der Getöteten, um die politische Stimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen

von Sebastian Engelbrecht  17.12.2024

Meinung

Im Zweifel für die Sicherheit

Israels Angriffe auf Syrien waren trotz fehlender völkerrechtlicher Legitimation richtig, denn die Giftgasbestände im Land bedeuteten eine konkrete Gefahr für den jüdischen Staat

von Daniel-Dylan Böhmer  17.12.2024

Kommentar

Die UNRWA ist Teil des Problems - und nicht seine Lösung

Die UNRWA ist Geschichte. So wollte es eine breite Mehrheit in der Knesset. Dieser Schritt war überfällig, berechtigt - und dennoch falsch. Zumindest jetzt

von Georg M. Hafner  16.12.2024 Aktualisiert

Meinung

Wenn Social Media zur Gefahr für die Demokratie wird

Politik und Plattformbetreiber müssen konsequent gegen Desinformation und Hetze vorgehen

von Anna Staroselski  12.12.2024

Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Der Westen sollte keinem Mann vertrauen, der bislang als Terrorist gesucht wurde

von Jacques Abramowicz  11.12.2024