Wieder gab es an einem sozialwissenschaftlichen Institut in Berlin einen Antisemitismus-Skandal. Erst 2017 schlug der Fall einer Politologin der Freien Universität (FU) Wellen, die auf ihrem Blog und in weiteren Publikationen mit antisemitischen Verschwörungsnarrativen auffiel.
Dieses Mal hat eine Dozentin der Humboldt-Universität (HU) in mehreren Tweets israelbezogenen Antisemitismus verbreitet. Empörte Studenten wandten sich an Uni-Verantwortliche, aber erst nachdem die Presse darüber berichtet hatte, beendete die HU den Lehrauftrag der Wissenschaftlerin.
AKTIVISMUS Auch wenn die Universität am Ende die richtige Konsequenz gezogen hat, bleibt die Frage, ob die Sozialwissenschaften in Berlin und in Deutschland ein mehr als nur individuelles Problem mit Antisemitismus in den eigenen Reihen haben.
Dass das so ist, liegt zunächst auf der Hand: Studenten der Politik und Soziologie sind ohne Frage weit überdurchschnittlich oft politisch engagiert, und da sich aus dieser Gruppe irgendwann auch die Promovenden und Professoren in den Sozialwissenschaften rekrutieren, sind die Bande zum politischen Aktivismus in dieser wissenschaftlichen Disziplin besonders stark. Grundsätzlich ist daran auch nichts falsch, können doch solche Erfahrungen durchaus die spätere Arbeit in der Forschung bereichern.
Inakzeptabel wird es aber dann, wenn Wissenschaftler nicht in der Lage sind, sich von diskriminierenden Ansichten, die auch im Aktivismus des linken Spektrums verbreitet sind, zu distanzieren. So herrscht zum Beispiel in großen Teilen der anti-imperialistischen Linken die Ansicht, dass Israel die Speerspitze des westlichen Imperialismus und damit die Verkörperung alles Bösen ist.
brückenschlag In dieser Vorstellung ist der Brückenschlag zum Antisemitismus – die Juden sind an allem schuld – schon fast automatisch angelegt. Dozenten, denen eine solche Verblendung nicht ganz und gar fernliegt, haben in der universitären Wissenschaft und Lehre nichts zu suchen. Immer wieder zeigt sich leider, dass das nicht allen sozialwissenschaftlichen Instituten selbstverständlich ist. Oft wird sich schwer damit getan, Antisemitismus zu benennen und zu sanktionieren.
Was nottut, sind mehr Forschungsgelder und mehr Lehrstühle, die sich der Erforschung von Antisemitismus widmen.
Bevor aber der Stab über einer ganzen wissenschaftlichen Disziplin gebrochen wird, muss darauf hingewiesen werden, dass die Aufklärung der genannten Antisemitismus-Fälle wiederum auf wachsame – jüdische wie nichtjüdische – Studenten ebendieses Faches zurückzuführen ist.
Gerade an sozialwissenschaftlichen Instituten mag insbesondere israelbezogener Antisemitismus weit verbreitet sein, fast nirgendwo sonst gibt es aber auch mehr Expertise in diesem Feld. In der Regel sind es – sich meistens dezidiert als links verstehende – Studenten, die antisemitische Vorfälle an der Universität dokumentieren, öffentlich machen und Druck auf Entscheidungsträger ausüben. Problem und Lösung liegen in diesem Fall also nah beieinander.
betreuer Diese Studenten sollte man auch zuallererst um ihre Meinung fragen, wie man dem Antisemitismus an ihren Instituten am besten begegnen könnte. Wer das tut, wird von ihnen zum Beispiel hören, dass es in ihrem Fachbereich zu wenige Möglichkeiten gibt, zum Thema Antisemitismus Haus- und Abschlussarbeiten zu schreiben. Es fehlen schlicht potenzielle Betreuer, die sich in der Materie auskennen.
Was nottut, sind daher mehr Forschungsgelder und mehr Lehrstühle, die sich der Erforschung von Antisemitismus widmen. Das wäre die beste Unterstützung für all die Studenten in den Sozialwissenschaften, die viel Mühe auf sich nehmen und auch Konflikte nicht scheuen, um Judenhass – egal in welcher Form – an ihrer Uni entgegenzutreten.
schultheis@juedische-allgemeine.de