Es ist traurig, immer wieder beobachten zu müssen, dass sich die Kunstszene stets aufs Neue sowohl antisemitischer als auch anti-israelischer Anfeindungen bedient, ohne aber jemals auf irgendein anderes Leid oder eine andere Ungerechtigkeit weltweit hinzuweisen. Die Verfolgung der Uiguren in China? Fehlanzeige. Das Apartheidregime der Taliban gegen Frauen in Afghanistan? Ohrenbetäubendes Schweigen. Sudan, Syrien, Jemen? Auch dort ist anscheinend alles in Ordnung. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen.
Der neueste Aufruf zum Boykott, unterschrieben von mehr als 1000 Schriftstellerinnen und Schriftstellern, wird von Sally Rooney, Rachel Kushner und Arundhati Roy angeführt. In diesem verpflichten sich die Unterzeichner, israelische Kulturinstitutionen zu boykottieren, mit der Begründung, diese machten »sich an der Unterdrückung der Palästinenser mitschuldig« oder seien »stille Beobachter geblieben«.
Anscheinend muss das auch für alle linken israelischen Einrichtungen gelten, die sich schon seit Langem gegen Netanjahu und für den Frieden einsetzen ebenso wie arabisch-israelische Institutionen. Dass es bei dem jüngsten Boykottaufruf nicht um Menschenrechte geht, müsste jedem spätestens dann bewusst werden, wenn er sich vor Augen führt, dass Sally Rooney ihr drittes Buch 2021 zwar nicht ins Hebräische übersetzen lassen wollte, jedoch kein Problem damit hatte, dass es in chinesischer Sprache erscheint.
Antisemitismus darf sich nicht hinter der Kunstfreiheit verstecken
Der Antisemitismus in der Kulturszene hat eine lange Tradition: sei es direkter Antisemitismus, wie auf der letzten documenta zu erleben, oder in Form von »Israelkritik«, wie auf der Berlinale oder in der Rede von Arundhati Roy, als sie mit dem Pinter-Preis des englischen PEN-Clubs ausgezeichnet wurde.
Sobald es jedoch einen Vorstoß gibt, Antisemitismus nicht mehr mit öffentlichen Geldern zu fördern, wird der Ruf nach der Kunstfreiheit laut. Hier hat das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass die Kunstfreiheit weder anderen Grundrechten entgegenstehen noch mit dem Mittel der Kunst zu Körperverletzung aufrufen darf. Das heißt: Niemand soll sich hinter der Kunstfreiheit verstecken können, um seinem Antisemitismus oder der Diskriminierung von Minderheiten freien Lauf zu lassen.
Wie würde die Gesellschaft reagieren, wenn sich jemand künstlerisch über Schwarze, Muslime oder die LGBTQ+-Community hermachen würde? Es gäbe einen Riesenaufschrei, und das zu Recht. Nur wenn es um Juden und Israel geht, hat man es nicht nur mit Empathielosigkeit, sondern auch mit Doppelstandards zu tun.
Wir Juden haben ein Problem. Unsere Demokratie hat ein Problem. Und wir alle sind gefordert, wenn es darum geht, diese antisemitische Scheinheiligkeit nicht länger zu dulden.