Meinung

Alptraum für Deutschland

Foto: Daniel Woeller / picture alliance / Presse- und Wirtschaftsdienst

Als wir am 7. Oktober 2023 aufwachten, begann für uns alle eine neue Zeitrechnung. Seitdem sprechen viele in unserer Jüdischen Gemeinde in Frankfurt und in anderen Gemeinden davon, dass es eine Zeit vor und eine nach dem 7. Oktober gibt. Dies ist sicherlich richtig.

Die jüdischen Gemeinden haben nach dem 7. Oktober 2023 enorm viel leisten müssen. Sie mussten für ihre Mitglieder da sein, sie mussten Demonstrationen organisieren, ihre Stimme laut und deutlich erheben, Anfeindungen bis hin zu Angriffen auf Mitglieder abwehren und insbesondere auch dem erhöhten Sicherheitsbedürfnis gerecht werden. Dies sind herausfordernde Aufgaben, die viel Zeit und Kraft kosten.

In Frankfurt am Main kam noch die Besonderheit hinzu, dass die Gemeinde die teils gestrandeten, teils hierher geflüchtete Israelis und deren Familien versorgte. Für zeitweise knapp 500 Israelis mussten Unterkünfte, die Betreuung und der Schulunterricht für Kinder, geschützte Arbeitsplätze für deren Eltern, die aus der Ferne ihrer Berufstätigkeit nachgehen mussten und sich nicht an öffentliche Plätze trauten, organisiert werden – ein Ausnahmezustand in jeder Hinsicht.

Nicht der erste Ausnahmezustand

Hinzu kommt natürlich, dass auch alle, die in jüdischen Gemeinden Verantwortung tragen, selbst und ganz persönlich die traumatischen Erfahrungen des 7. Oktobers 2023, die herzzerreißenden Bilder des Pogroms und die Schicksale der Ermordeten und Geiseln verarbeiten müssen.

Die Tatsache, dass es sich nicht um den ersten Ausnahmezustand der letzten vier Jahre handelte – nicht nur in Frankfurt am Main, sondern für die jüdische Gemeinschaft in ganz Deutschland –, war beim Umgang mit dieser Krise sicherlich hilfreich.

Der Krisenmodus war in den letzten vier Jahre fast schon Normalzustand. Diese Erfahrung begann im März 2020 mit dem Corona-Virus. Kaum liefen die Einschränkungen der Pandemie aus, galt es, ab Februar 2022 bis zu 600 ukrainische Flüchtlinge bei uns in Frankfurt am Main aufzunehmen.

Antisemitischen Vorurteile und Holocaust-Relativierung

Und wenn wir in die Zukunft blicken, ist zu erwarten, dass der Krisenmodus, in dem sich die jüdische Gemeinschaft und damit auch die Gemeinden befinden, nicht so schnell enden wird. Die Wahlergebnisse der AfD zu den Europawahlen, Thüringen, Sachsen und in Brandenburg müssen auch und insbesondere die jüdische Gemeinschaft beunruhigen.

Die AfD ist und bleibt eine verfassungsfeindliche Partei, die mit antisemitischen Vorurteilen, Holocaust-Relativierung und Geschichtsrevisionismus auf Stimmenfang geht. Was dies für gravierende Auswirkungen im Hinblick auf die kommenden und die darauffolgenden Bundestags- und Landtagswahlen – auf jüdisches Leben in Deutschland haben wird, können wir derzeit noch nicht abschätzen, aber schlussendlich erahnen.

Es ist unsere Aufgabe, diesbezüglich immer wieder laut unsere Stimme zu erheben und die AfD zu entlarven – als das was sie wirklich ist: keine Alternative, sondern ein Alptraum für Deutschland.

Fester Bestandteil unserer Gemeinde

Wir haben viel gelernt aus den vergangenen Krisen. Die Bereitstellung der Hilfe für die hier zu betreuenden Israelis beispielsweise war nach den Erfahrungen im Zuge des Ukraine-Krieges fast schon einstudiert. Sogenannte Willkommensklassen, die wir bereits für die jüdischen Kinder aus der Ukraine angeboten hatten, waren für die Israelis innerhalb von einer Woche organisiert.

Es ist daher kein Zufall, dass keine jüdische Gemeinde in Deutschland mehr neue Mitglieder aus der Ukraine aufgenommen hat als wir in Frankfurt – und dass viele Israelis, die nach dem 7. Oktober hier gestrandet sind, mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Gemeinde geworden sind.

Erfahrung macht resilient, – auch wenn man sich nicht auf jede erdenkliche Situation vorbereiten kann. Aber wir haben vor allem eines gelernt: Wir müssen als jüdische Gemeinden und als jüdische Gemeinschaft immer auf alles vorbereitet sein.

Begleiten, auffangen und reagieren

Wir müssen uns vernetzen, wir müssen die Gemeindestrukturen stärken und wir müssen auch weiterhin Kommunikationsstrukturen innerhalb der Gemeinden und zwischen den Gemeinden schaffen, um vor allem unsere Mitglieder zu begleiten, aufzufangen und reagieren zu können.

Es ist eine unserer wichtigsten Aufgaben, unsere Kinder zu stärken und Strukturen zu schaffen, in denen sie lernen mit Unsicherheiten und Ängsten umzugehen. Vor allem brauchen wir starke Gemeinden und eine starke Gemeinschaft, die sich Halt gibt und zusammenhält. Nur zusammen sind wir stark.  

Die Autoren Marc Grünbaum und Benjamin Graumann sind Vorstandsmitglieder der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main.

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