Hey Freie Universität, wir müssen reden. Über dich, über Meinungsfreiheit und über die Juden. Nach dem 7. Oktober hast du dich verändert, liebe FU. Du schweigst mir zu laut und genau deswegen muss ich diese Zeilen unter einem Pseudonym schreiben. Nicht, dass ich wegen meines Jüdischseins eines Tages exmatrikuliert werde und du dich auf Meinungsfreiheit berufst.
Du zeigst viel Verständnis, aber: Du kannst nichts gegen die antisemitischen Demos unternehmen, weil sie vor und nicht im Gebäude stattfinden. Du kannst massive Ausschreitungen gegen Juden in den WhatsApp-Gruppen der Studierenden nicht unterbinden, weil diese privat betrieben werden. Du hörst nur zu. Taten sind nicht deine Stärken.
Die Geschehnisse vom 14. Dezember 2023 sind kaum zu ertragen, auch ein paar Tage danach. Eine Meute propalästinensischer Aktivisten, die die Poster mit israelischen Geiseln abreißen, handgreiflich werden und den jüdischen Studierenden den Weg in den Hörsaal versperren. Ein Ort des Lernens und der Bildung, der zum antiisraelischen Hetzlager umfunktioniert und wo laut skandiert wird: »Juden sollten keinen Genozid legitimieren!«
Weißt du, FU, ich komme aus der ehemaligen Sowjetunion. Aus einem Land, in dem es die Judenquote an den Universitäten gab. Meine Mutter, eine exzellente Schülerin mit einem ausgezeichneten Abschlusszeugnis, wollte unbedingt Jura studieren. Weil aber die Judenquote von fünf Prozent an der Moskauer Lomonossow-Universität bereits erreicht war, musste sie auf die Fernuniversität ausweichen. Meine Eltern haben meinen Bruder und mich nach Deutschland gebracht, damit wir werden, was auch immer wir möchten - unabhängig von unserer Religion. Und nun stehen wir hier, in Berlin, achtzig Jahre nach dem Holocaust. Auf uns wird gezeigt, »Scheißzionisten raus!« gerufen, uns »ein blaues Wunder« versprochen, Israel wird in aller Öffentlichkeit das Existenzrecht abgesprochen. Und du, liebe FU, sprichst von Meinungsfreiheit, lässt über vier Stunden den Hörsaal nicht räumen und schreibst in deiner Stellungnahme: »Berichten, denen zufolge Personen wegen ihres Glaubens oder ihrer Nationalität nicht in den Hörsaal gelassen wurden, treffen nicht zu.« Echt, FU? Du und ich - waren wir an diesem einen Tag am selben Ort?
Und nun, liebe FU, hast du genug geschwiegen. Du musst alle Verantwortlichen zurücktreten lassen. Unternimm endlich etwas, FU. Wenn du Fragen zur Meinungsfreiheit haben solltest, kannst du dich an die Rechts- oder Politikwissenschaften wenden. Und solltest du genauso schlecht schlafen wie wir Juden seit dem 7. Oktober, können bestimmt auch die Kollegen von der Charité aushelfen.
Die Autorin ist Studentin an der Freien Universität.