Dieser Tage lässt sich eindrücklich beobachten, wie die Normalisierung rechter Ideologie in Deutschland voranschreitet. Neben zahlreichen Beispielen aus den vergangenen Wochen steht der Fall Aiwanger für die nicht-vorhandene Reaktion des deutschen Rechtsstaates auf Antisemitismus in seiner Mitte. Diese »Nicht-Reaktion« ist für viele Juden ein Schlag ins Gesicht. Vor allem für jene, deren Familiengeschichte von der Schoa geprägt und gezeichnet ist.
Doch dieser Fall macht auch deutlich, worauf die jüdische Gemeinschaft seit Jahren hinweist: Antisemitisches und rechtes Gedankengut ist mit der Niederlage Nazi-Deutschlands nicht verschwunden.
ideologie Während im politischen Raum immer wieder das Bild konstruiert wurde, Deutschland hätte aus seiner Vergangenheit gelernt und wäre wieder gut geworden, lebte die menschenverachtende braune Ideologie vor allem im Privaten und in bundesdeutschen Familien fort. So kam die Causa Aiwanger für viele Juden nicht überraschend. In deutscher Geschichte sind NS-Tendenzen in der Vergangenheit von Politikern weder ein Novum noch ein Einzelfall.
Der Fall Aiwanger macht deutlich, wie wenig Raum jüdischen Sorgen und jüdischer Wut in politischen Entscheidungen tatsächlich zugestanden wird.
Statt Aiwanger wird nun die jüdische Gemeinschaft Konsequenzen tragen müssen, denn die Tatsache, dass Aiwanger im Amt bleiben darf und sogar an Beliebtheit gewinnt, hat eine Signalwirkung auf ganz Deutschland. Es macht deutlich, wie wenig Raum jüdischen Sorgen und jüdischer Wut in politischen Entscheidungen tatsächlich zugestanden wird.
Gerade in dieser Zeit der Unsicherheit beobachten wir ein weiteres Mal, dass unsere Interessen nicht viel wert sind, wenn es über bloße Lippenbekenntnisse hinausgehen soll. Mit jeder Person, die trotz und mit Antisemitismus im Amt bleiben darf und keine Konsequenzen spürt, trauen sich zehn weitere Antisemiten, ihre Stimme öffentlich zu erheben. All das führt zu einer zunehmenden Verschiebung der Diskurse, die schon bald die jüdischen Communitys mit voller Wucht treffen wird.
Die Autorin ist Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD).