Meinung

»Abgedreht und orientierungslos«

»Die Gazaner leben im weltgrößten Konzentrationslager«: Jürgen Todenhöfer Foto: dpa

Es irritiert, sich im Jahr 2019 über Jürgen Todenhöfer überhaupt noch äußern zu müssen. Doch anscheinend hat sich immer noch nicht herumgesprochen, dass Todenhöfer eben nicht der liebe Gutmensch-TV-Onkel ist, als der er im Fernsehen nach wie vor gerne herumgereicht wird.

Erst dieser Tage war der Publizist und Israelhasser – und nein, diese Formulierung ist keine hysterische Übertreibung – in der seriösen Fernsehsendung »Talk am See« des Südwestrundfunks zu Gast. Verwunderlicher, oder besser: viel bedenklicher könnte eine Einladung nicht sein. Es ist bestenfalls mit mangelnder journalistischer Sorgfalt der Redaktion zu begründen, Todenhöfer eingeladen zu haben. Möglich ist aber auch, dass schlichtweg Überzeugung dahinter steht. Ob Jakob Augstein, Norbert Blüm oder eben Todenhöfer: »Israelkritik« kommt immer gut an.

Todenhöfer relativierte wiederholt den Holocaust, indem er Gaza als weltgrößtes Konzentrationslager bezeichnete.

VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN Bereits seit Jahren propagiert der Publizist Falschdarstellungen und Verschwörungstheorien, die sich in vollem Umfang gar nicht mehr abbilden lassen. Wiederholt relativierte Todenhöfer in der Vergangenheit die NS-Zeit, indem er beispielsweise Gaza als weltgrößtes Konzentrationslager bezeichnete. Mit einer inszenierten Fotografie aus dem Jahr 2014, die ihn inmitten einer Betonruine in Gaza mit frisch ausgepacktem Kinderspielzeug zeigt, schloss er an die antisemitische Mär eines kindermordenden Israels an.

Entsprechende Äußerungen lassen sich mit der Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel eindeutig als »Ritualmordlegende 2.0« identifizieren. Dass er sich positiv auf Schriften der NS-Rassetheoretikerin Sigrid Hunke bezog – es passt nur allzu gut ins Bild.

Entsprechend wurden Todenhöfers Ausfälle von der deutschen Öffentlichkeit gewürdigt: von der Süddeutschen Zeitung etwa oder von Nikolaus Blome, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung – beide wiesen ihm die Verbreitung von Verschwörungstheorien nach. Christian Lindner (FDP) nannte Todenhöfer »völlig abgedreht und orientierungslos«. In anderem Zusammenhang bescheinigte auch Roderich Kiesewetter (CDU) dem Bestsellerautor, jeglichen »Realitätsbezug« verloren zu haben.

Es ist einer seriösen Talkshow schlicht unwürdig, einen Gast wie Todenhöfer einzuladen.

»PROFITEURE« Nachdem Todenhöfer behauptete, dass die Palästinenser »den höchsten Preis für Deutschlands schwere Schuld gegenüber den Juden zahlen« würden, brachte die Jüdische Allgemeine schließlich ihre berechtigte Verärgerung auf den Punkt. In nur einem Satz habe Todenhöfer gleich zwei antisemitische »Evergreens« untergebracht: »den, wonach die Juden an ihrem Leid kassierten, und den von den Opfern, die zu Tätern geworden seien«.

Die Forderung nach Weltfrieden, die Todenhöfer in der SWR-Talkshow »Talk am See« vertrat, ist ein hehres Ziel. Allerdings stößt es übel auf, wenn die USA und Israel ebenso systematisch wie penetrant für den Unfrieden in der Welt verantwortlich gemacht werden. Kritische Nachfragen gab es an keiner Stelle, erst recht nicht dort, wo Terrororganisationen wie der Islamische Dschihad und die Hamas als »Rebellen« verharmlost wurden.

Lieber SWR: Es ist einer seriösen Talkshow schlicht unwürdig, solch einen Gast einzuladen und ihm den roten Teppich auszurollen.

Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Bodensee-Region.

Anmerkung der Redaktion: Jürgen Todenhöfer möchte Folgendes zu dem Kommentar an seinem Wirken sagen:

Meinung

Düsseldorfs braunes Erbe

Beim Gedenken muss die Stadt konsequent sein

von Oded Horowitz  12.01.2025

Meinung

Tiefpunkt für die Pressefreiheit

An der besetzten Alice Salomon Hochschule versuchte die Rektorin zusammen mit israelfeindlichen Aktivisten, die journalistische Berichterstattung zu verhindern

von Jörg Reichel  10.01.2025

Meinung

Hitler ein Linker? Der »Vogelschiss«-Moment der Alice Weidel

Mir ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen

von Michael Thaidigsmann  10.01.2025

Meinung

Wo Extremisten keine Gegenwehr fürchten müssen

In Berlin wurde die Alice Salomon Hochschule von Hamas-Sympathisanten besetzt. Erneut setzen weder die Studierendenschaft noch das Präsidium der Terrorverherrlichung etwas entgegen

von Noam Petri  08.01.2025

Meinung

Der Neofaschist Herbert Kickl ist eine Gefahr für Österreich

In der FPÖ jagt ein antisemitischer »Einzelfall« den anderen, ihr Obmann will die liberale Demokratie abschaffen und könnte schon bald Kanzler sein

von Bini Guttmann  08.01.2025

Sebastian Leber

Treitschke ist nicht »umstritten«

Die CDU in Berlin-Steglitz weigert sich, den eindeutigen Antisemitismus des Historikers anzuerkennen – und macht sich damit im Streit um einen Straßennamen unglaubwürdig

von Sebastian Leber  07.01.2025

Volker Beck

Christoph Heusgen: Ein außenpolitischer Bruchpilot

Die Kritik des Spitzendiplomaten an Israel ist niederträchtig – und seine eigene politische Bilanz verheerend

von Volker Beck  02.01.2025

Mascha Malburg

Wer jüdisches Leben wirklich schützt

Manche jüdische Einrichtungen setzen neben dem Polizeischutz auf eigenes Sicherheitspersonal – und das ist auch gut so

von Mascha Malburg  02.01.2025

Sabine Brandes

Frieden einfordern

Unsere Israel-Korrespondentin Sabine Brandes ist davon überzeugt, dass ein Naher Osten ohne Blutvergießen kein Traum bleiben muss

von Sabine Brandes  01.01.2025