Ende November beschloss die Bundesregierung 89 Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus. Ein Großteil zielt auf die Bekämpfung von Antisemitismus ab. Offenbar zündete der Anschlag von Halle den Handlungsbedarf – so soll künftig jährlich am 9. Oktober, dem Jahrestag des Anschlags, zu Aktionen für Solidarität und gegen Antisemitismus aufgerufen werden.
Maßnahmen Ernstgemeinte, effektive Maßnahmen müssen jedoch alle Quellen des Antisemitismus erfassen. Aber der linke und der muslimische Antisemitismus bleiben in dem Maßnahmenkatalog gänzlich unbeachtet. So kommt der Begriff Antizionismus im gesamten Paket nicht einmal vor.
Mehr Potenzial versprechen hingegen die auf den Weg gebrachten Maßnahmen für die Justiz: Den strafverschärfenden Tatmotiven aus dem Strafgesetzbuch sollen antisemitische Beweggründe hinzugefügt werden. Darin liegt die Chance, einen modernen Antisemitismusbegriff in die Rechtspraxis einzuführen und mit dessen Hilfe die Fälle der Tarnung von Antisemitismus als Israelkritik zu erfassen.
Besonders geeignet ist die Arbeitsdefinition der IHRA, die antisemitische Aspekte der Israelkritik in eine klassische Definition integriert.
Besonders geeignet ist dabei die Arbeitsdefinition der IHRA, die antisemitische Aspekte der Israelkritik in eine klassische Definition integriert. Ausgerüstet mit einer tragfähigen Definition und gezielter Bildung bekommt die Justiz damit ein effektives Werkzeug an die Hand. Damit wären etwa Urteile, nach denen Angriffe auf Synagogen als Israelkritik gewertet werden können, endgültig Vergangenheit.
MOBBING Für Opfer antisemitischen Mobbings hält der Maßnahmenkatalog dagegen kaum fruchtbare Ansätze bereit. Dabei bietet Artikel 6 Absatz 2 des Grundgesetzes dem Staat die Möglichkeit, das Grundrecht der Eltern auf Erziehung der Kinder zu überwachen.
Wie dringlich das ist, zeigt das Strafverfahren gegen den Attentäter von Halle: Antisemitische Überzeugungen werden im Elternhaus verankert. Der Staat ist seit Jahren gefordert, bei Anzeichen von antisemitischen erzieherischen Ansätzen den Pädagogen, Schul- und Jugendämtern rechtliche Handhabe zu verschaffen, um bei den Familien zu intervenieren.
Fest steht: Der potenzielle Mehrwert der geplanten Maßnahmen liegt in der möglichen Definition und Sensibilisierung der Justiz für die Vielfalt der Erscheinungsformen des modernen Antisemitismus. Die einseitige Schwerpunktsetzung auf Rechtsextremismus jedoch hinterlässt das Gefühl einer offenen Flanke. Und viele offene Fragen.
Die Autorin ist Rechtsanwältin in Berlin.