Deutschlands oberster Verfassungsschützer dürfte heute in Feierlaune sein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Thomas Haldenwang seit 2018 vorsteht, bekam am Montag nämlich vor dem Oberverwaltungsgericht Münster fast auf ganzer Linie Recht.
Die Alternative für Deutschland (AfD) hatte das BfV in zweiter Instanz vor den Richter gezogen, weil der Inlandsgeheimdienst die Partei selbst sowie ihre Jugendorganisation Junge Alternative als »Verdachtsfälle« für rechtsextremistische, gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen einstuft und mit nachrichtendienstlichen Mitteln – also heimlich – beobachtet.
Den mittlerweile offiziell aufgelösten »Flügel« der Partei um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hält das BfV seit 2020 sogar für eine »erwiesen extremistische Bestrebung«. Auch hiergegen hatte die AfD Beschwerde eingelegt.
Alle drei von der Partei angestrengten Verfahren blieben erfolglos. Die obersten Verwaltungsrichter in Nordrhein-Westfalen ließen keinen Zweifel daran, dass sie die vom Verfassungsschutz vorgetragenen Argumente für eine Beobachtung der AfD für stichhaltig ansehen.
Es lägen ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Partei Bestrebungen verfolge, die gegen den Schutz der Menschenwürde und auch gegen das Demokratieprinzip gerichtet seien. Konkret benennt das Gericht die Pläne einzelner AfD-Politiker, deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund nur einen Rechtsstatus zweiter Klasse zuzuerkennen. Das sei eine nach dem Grundgesetz unzulässige Diskriminierung aufgrund der Abstammung.
Aus gutem Grund: Bereits im Juli 1933 bürgerten die Nationalsozialisten Menschen, die nach dem Ersten Weltkrieg ins Deutsche Reich eingewandert waren und die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten, wieder aus. Davon betroffen waren vor allem »Ostjuden«. Das 1949 beschlossene Grundgesetz stellt dagegen kategorisch fest: »Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist (...), wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.«
In der AfD, stellte das OVG Münster nun fest, seien zudem herabwürdigende Begriffe gegenüber Flüchtlingen und Muslimen gang und gäbe. Regelmäßig komme es zu Forderungen, die sich gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen richteten. Darüber hinaus gebe es in der AfD »Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen«, wenn auch, so die Verwaltungsrichter einschränkend, »nicht in der Häufigkeit und Dichte«, wie vom Bundesamt unterstellt.
Die Richter betonten, dass es sich bislang nur um Verdachtsmomente und nicht um gerichtlich festgestellte Nachweise für verfassungsfeindliche Umtriebe der AfD handele. Doch auch ein begründeter Verdacht reicht eben aus für eine nachrichtendienstliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz – und das, obwohl bei politischen Parteien besonders hohe Maßstäbe angelegt werden müssen.
Es gebe keine Anhaltspunkte , so das OVG Münster weiter, dass das Bundesamt bei der Einstufung und Beobachtung der AfD als Verdachtsfall aus parteipolitischen heraus gehandelt habe oder noch handele. Damit wiesen die Richter den Vorwurf der AfD zurück, der Verfassungsschutz sei politisch motiviert.
Wenn es um den Schutz der Verfassung geht, ist Mut gefordert
Das Urteil ist eine Klatsche für die Partei, die sich zwar stetig radikalisiert und mittlerweile offen völkische Positionen vertritt, aber doch gerne Anschuldigungen, sie verfolge verfassungsfeindliche Ziele, im Brustton der Überzeugung von sich weist. Schließlich weiß die Parteiführung nur zu genau, dass am Ende des Weges durchaus ein Verbot durch das Bundesverfassungsgericht stehen könnte. Sollte es soweit kommen, würde das Projekt einer »Alternative für Deutschland« in sich zusammenfallen wie ein Soufflé.
Deutschland sei kein Rechtsstaat, behauptet nun AfD-Politikerin Beatrix von Storch. In typisch weinerlicher Art und Weise spricht sie von einem »Unrechtsurteil« und einer »Prozesssimulation«. Das ist natürlich Unsinn; das Gericht hat die Argumente beider Seiten eingehend geprüft und gewürdigt und kam nun zum selben Ergebnis wie das Verwaltungsgericht Köln in erster Instanz.
Nein, der Rechtsstaat hat sich nicht gegen die AfD verschworen. Umgekehrt wird womöglich ein Schuh draus: In der AfD gibt es Bestrebungen, die man als Verschwörung gegen den Rechtsstaat, wie wir ihn kennen, bezeichnen könnte.
Als »kleines Verbotsverfahren« hatten manche die Auseinandersetzung in Münster gesehen. Das war es eher nicht, und es wäre vermessen zu behaupten, durch die heutigen Beschlüsse sei ein Verbot der AfD näher gerückt.
Es ist noch ein weiter Weg nach Karlsruhe. Und angesichts der Erfahrungen aus den beiden Verfahren gegen die NPD – eine rechtsextremistische Partei, die nach wie vor existiert – ist längst nicht ausgemacht, dass die AfD am Ende vom Bundesverfassungsgericht verboten wird. Und deswegen ist es nachvollziehbar, dass die Politik bislang nicht den Mut aufbringt, ein solches Verfahren überhaupt anzustrengen oder auch nur anzustreben.
Vorbereiten sollte sie es dennoch. Denn wenn es um den Schutz der Verfassung geht, ist Mut gefordert.
Mut hat BfV-Präsident Thomas Haldenwang bewiesen. Seit dem unrühmlichen Abgang seines mittlerweile selbst nach Rechtsaußen abgedrifteten Vorgängers Hans-Georg Maaßen, hat er dem Kampf gegen Rechtsextremismus die Priorität eingeräumt, die dem Thema gebührt - nicht nur wegen der deutschen NS-Geschichte. Heute kann Haldenwang die Früchte seiner Arbeit ernten.
Das Urteil ist ein Grund mehr, die AfD bei der Europawahl im Juni abzustrafen
Mut sollten auch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes haben. Nämlich den Mut, die AfD nicht zu wählen, obwohl man womöglich mit den anderen Parteien unzufrieden ist. Wer AfD wählt, auch das ist seit heute gerichtsfest, wählt eben eine möglicherweise verfassungsfeindliche Partei.
Zumindest wählt er oder sie eine Partei, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen in den eigenen Reihen nicht entschieden genug entgegen tritt. Ein Grund mehr also, schon bei der Europawahl im Juni einer demokratischen Formation die Stimme zu leihen.
Eine Abstrafung der AfD durch die Wählerinnen und Wähler wäre nicht nur ein schönes Geschenk für die Demokratie anlässlich des 75. Geburtstags des Grundgesetzes. Vielleicht wäre sie auch Anreiz, dass die Partei ihren Rechtsaußenkurs aufgibt und sich in die andere Richtung bewegt. Sicher, ein eher unwahrscheinliches Szenario. Aber ein gutes Signal allemal.