Christen? Sind das die, die so einen toten Zimmermann anbeten?» Eine berechtigte Frage. Vor allem, wenn sie in Rom gestellt wird. Von Neros Feldherr Marcus Vinicius. In amerikanischem Englisch. Denn der Römer sah aus wie der Hollywood-Beau Robert Taylor. Weil es Taylor war. Und er wandte sich an Lygia, die so aussah wie Deborah Kerr. Und Deborah Kerr war.
Sie waren zwei der 29 Hauptdarsteller von Quo Vadis, 1949 in Rom gedreht, in den Filmstudios Cinecittà. Alles war in diesem Film monumental, erst recht die Besetzung: 110 Sprechrollen, 250 Pferde, 63 Löwen, sieben Stiere, zwei Geparden, 30.000 Statisten. Darunter, und das erfährt man aus Christina Höfferers informativem Buch über das jüdische Rom, zahlreiche Juden – die teils in Cinecittà lebten. Denn seit 1944 hatte die Allied Control Commission die Kulissenstadt zu einem DP-Camp umgewidmet.
Cinecittà Die Unterkünfte der Schoa-Überlebenden waren Tempelbauten aus dem antiken Rom oder Boudoirs à la Louis XVI. Eine Geschichte, die die in Rom lebende ORF-Korrespondentin wie vieles andere gut recherchiert hat.
Den Band eröffnet sie mit einem historischen Abriss jüdischen Lebens am Tiber, von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart. Heute leben rund 13.000 Juden dort. «Das wichtigste Merkmal der römischen jüdischen Gemeinde bestand in ihrer festen Verankerung in der Stadt und in ihrer Einheitlichkeit. Dies erlaubte ihr zu Ende des 15. Jahrhunderts, Hunderte von Einwanderern aus allen Gegenden der jüdischen Welt aufzunehmen», so der in Haifa lehrende Historiker Kenneth Stow.
Den größeren zweiten Teil des Buches machen Rundgänge durch verschiedene Stadtviertel aus, inklusive nicht weniger Überraschungen. Etwa, dass Giorgio Bassani, der Roman-Chronist des jüdischen Ferrara, im Palazzo Caetani in der Via delle Botteghe Oscure lange eine Literaturzeitschrift redigierte und 1955 mit Pier Paolo Pasolini das Filmskript für, ausgerechnet, Luis Trenkers Flucht in die Dolomiten verfasste.
Fellini Dass in der Via Gregoriana die Praxis des Psychoanalytikers Ernst Bernhard war, auf dessen Couch Federico Fellini lag. Dass in Babington’s Tea Room Hermann Kesten schrieb. Dass auf dem Esquilin das Haus von Ernst Nathan steht, der von 1907 bis 1913 Bürgermeister von Rom war. Dass die Biblioteca Hertziana ein Geschenk der 1913 verstorbenen Henriette Hertz war. Oder dass im Park der Villa Doria Pamphilj 2016 ein «Garten der Gerechten» eröffnet wurde.
Höfferer hätte noch Woody Allens To Rome with Love erwähnen können. Oder den im letzten Oktober verstorbenen Giorgio Pressburger, der an der Accademia Nazionale d’Arte Drammatica Regie studiert hatte und dort später lehrte. Schön, dass sie auch Exkurse über die Razzien im Winter 1943 oder die römisch-jüdische «cucina» einflicht.
Nun hat Riccardo Calimani vor einem Jahr Storia degli Ebrei di Roma publiziert. Aber nicht jeder will 800 eng bedruckte Seiten lesen. Für den nächsten Rombesuch sollte Höfferers Jüdisches Rom bei der Hand sein. Wenn man im «Little Tripoli» in der Via Polesine sitzt oder im «Su Ghetto», kann es sein, dass man sich festliest und der Espresso kalt wird.
Christina Höfferer: «Jüdisches Rom». Mandelbaum, Wien 2018, 240 S., 19,90 €